148
348/7
Königsberg. den
22.
Jun:
1759.

8
Herzlich geliebter Freund,

9
Einlage
nicht überliefert
Ich habe vorigen Dienstag Ihre Einlage nebst dem Gelde, das HE Wagner

10
gehoben, an Ihre liebe
Mama
richtig ausgezahlt, die recht verlegen deswegen

11
Beggerow
nicht ermittelt, vgl.
HKB 145 ( I 333/11 )
gewesen. Herr
Beggerow
ist endl. angekommen; durch Jakobi Predigten

12
werde künftig hin behutsamer seyn, unter deßen wird es Ihnen leicht seyn

13
sie dort anzubringen. Schlegel hat Clausnitzers heil. Reden über die Erhöhung

14
Christi mit einer Vorrede herausgegeben von den Vorzügen der christl.

15
Beredsamkeit für der heidnischen, die mir sehr von Trescho empfohlen wurden

16
als Muster der Kanzelberedsamkeit, worinnen aber unser Urtheil sehr

17
unterschieden. Ich ziehe des Cüstrinschen
Archi-Diaconi
(Gründler) Zeugniße der

18
Wahrheit in 10 Predigten vor.
Forstmanns
Schriften werden mir sehr

19
schätzbar seyn, den ich jetzt aus seinen erfreul. Nachrichten für die Sünder

20
kennen lerne, und der Name eines Herrenhuters, mit dem man ihn

21
gebrandmarkt, soll mich nicht irre machen die Wahrheiten dieses Mannes und seine

22
rührende Schreibart zu schmecken. Der bekannte Dichter Giseke hat 2

23
Predigten ausgegeben, die Kramers Beredsamkeit ausstechen, so eckel mir auch

24
Nikolaus Dietrich Giseke
wurde 1754 Nachfolger von
Johann Andreas Cramer
als Prediger in Quedlinburg.
die Zueignung an ihn vorgekommen, die mit der eiteln Vertraulichkeit eines

25
franzosischen Abbé
vll. Anspielung auf den Jesuiten Blaise Gisbert (1657–1731), der für die von Gottsched angestoßenen Reformbemühungen der Homiletik (und eines homiletischen guten Geschmacks) Pate stand, auch, weil er bereits die Redekunst des
Johannes Chrysostomus
aktualisiert hatte.
franzosischen
Abbé
geschrieben. Jesus als die eine wiedergefundene köstl.

26
Perle über das Evangel. am 1. Sonntage nach Epiphanias in der

27
Schloßkirche zu Berum von Adam Ludwich Giese, Hofprediger Copenhagen 1754.

28
Schnüre
vll. Anspielung auf
Cramer (Hg.),
Johannes Chrysostomus Predigten
, die in 9 Teilen erschienen.
Diese Perle in ihrer Mutter möchte ein Kenner gegen 9 Schnüre eines

29
nordischen
Anspielung auf
Cramer (Hg.),
Der Nordische Aufseher
nordischen Chrysostomus vertauschen.
Tantum.

30
Lesen Sie denn gar keine Dichter mehr? werden Sie mir zulächeln. Ja,

31
liebster Freund. Ich lese sie nicht nur, sondern gehe jetzt auch mehr wie sonst

32
mit Poeten um. Von 7–10 heute mit HE. Trescho und von 10–12 Uhr mit

33
Lauson zugebracht. Der erste geht zu seinen Eltern mit nächsten, damit Sie

34
sich darnach zu richten wißen und wird es Ihnen selbst vor seiner Abreise

S. 349
melden. Des letzten Reise nach dem warmen Bade wird ausgesetzt seyn wie

2
es scheint, und hat ein Pack gesammelter Schriften für Sie bey mir abgegeben.

3
Weil ich keine Gelegenheit zu
freundschaftl. Gesängen
habe; so räche ich

4
mich durch den Neid gute Gedichte zu verderben, wie beyliegendes

5
Blättchen davon eine Probe in sich hält – – Die Sehnsucht in der Freundschaft hat

6
mir so gefallen, daß ich gern die letzte Hand daran gelegt, bin mit der einen

7
Hälfte fertig geworden, und glaubte, zu der letzten und schwersten durch

8
ein
en
ingenium casus,
durch einen sinnreichen Zufall, den man sich öfters

9
nicht träumen läßet, aufgemuntert zu werden – jetzt möchte nichts daraus

10
werden.

11
Haben Sie die geraubte
Europa
von
Moschus
und eben dieselbe von

12
Nonnus.
Ein Gedicht von 2 Bogen mit einer Vorrede, das man
Bodmern

13
2 ungl.
Bodmer hatte die „Europa“-Stücke von
Moschus
und
Nonnos
zusammengebracht, um im Vergleich ein Stilideal der Einfachheit (bei Moschus) gegenüber dem Unmäßigen (bei Nonnos) zu favorisieren.
zuschreibt. Sie verdienen gelesen zu werden. Man könnte über diese 2 ungl.

14
Stücke ein ganz
Colleg.
der Poesie lesen und den Unterscheid des wahren,

15
natürl. und verdorbenen künstl. Geschmacks im ganzen und jeden Theil

16
derselben zeigen. Wenn ein
Moschus
mit so viel Anstand ein
mythologi
sch

17
Mährchen zu erzählen weiß; woran liegt es doch, daß ein Wieland den geprüften

18
Abraham nicht mit eben der Sittsamkeit sondern so viele
Ariosti
sche
episoden,

19
alcorani
sche und
talmudi
sche Zierrathen – die nichts als das Vorurtheil der

20
Mode, und den einmal angegebenen Ton rechtfertigen kann. Hat man da

21
Erdichtungen nöthig, wo die Geschichte reich genung ist; und soll man Dinge

22
nachahmen, die schon dadurch um ihre ganze Anmuth gekommen, weil sie

23
jedermann nachahmt, von denen sollte man sich
entfernen
, und seinen

24
Mustern entgegen arbeiten. Endlich, wenn man sich ohne Erdichtung nicht

25
behelfen kann; so sollte man doch den besten Gebrauch davon machen. Wozu

26
wird
man
Ismael zu so wiedersinnigen und unnatürl. Auftritten von ihm

27
gebraucht. Wozu wird der Charakter eines
Spötters
ihm mit so viel

28
Unverschämtheit geraubt und in ein
Muster
Helden kindl. v brüderl. Liebe

29
verdreht. Ich halte mich bey dem geprüften Abraham so weitläuftig auf, weil

30
es der Mühe lohnt einen solchen Verfaßer und ein solch Gedicht zu tadeln und

31
zu beurtheilen. Nichts als eine blinde Gefälligkeit gegen die herrschenden

32
Sitten unserer jetzigen Dichtkunst, oder eine durch die Gewohnheit erlangte

33
Fertigkeit, die unser Urtheil partheyisch macht, und unsere Sinnen bezaubert –

34
und der Trieb zu gähnen, weil wir andere gähnen sehen – können dergl.

35
Gaukeleyen so ansteckend machen, daß die besten Köpfe davon hingerißen

36
Parasiten
Figur in antiken Komödien, etwa bei Plautus, bspw. ein die Protagonisten umkreisender Schmeichler; auch im 18. Jhd. noch gebräuchlich.
werden. Geben die Beywörter, welche den
Parasit
en
gleich sich bey jedem

37
Hauptwort zu Gast bitten, nicht dem Ohr eine
n
weit ärger
n
e
monotonie,
als

S. 350
die man dem Geklapper der Reime zugeschrieben? Wird nicht die
geistige

2
Maschinerie
gröber angebracht als das Spiel der Knechte bey den alten, und

3
Scapins
Komische Dienerfigur aus der italienischen Commedia dell’arte; Molière hat mit
Les fourberies de Scapin
ein ganzes Stück für diese Figur konzipiert, Zeitgenossen hielten das für eines seiner schwächsten Stücke. Eine typische Wertung dieser Tradition ist etwa bei Gottfried Ephraim Müller zu lesen (
historisch-critische Einleitung zu nöthiger Kenntniß und nützlichem Gebrauche der alten lateinischen Schriftsteller
[1. Tl., Dresden 1747], S. 260]: „Denn in denselben [Burlesqven der Italiener] sind Arlequino, Pantalone, Dottore, Scapin, u.s.w. nichts anders, als halbe Mimi, die mehr durch lächerliche Geberden und Bewegungen, als durch einen sinnreichen Scherz, die Zuschauer zum Lachen zu bewegen suchen.“
des
Scapins
bey den neueren Römern?

4
Moschus
führt uns in das Schlafzimmer der
Europa
und erzählt uns einen

5
Traum, den sie in der dritten Nachtwache hat, ein Schattenbild ihres

6
Schicksals, über das sie mit klopfendem Busen erwacht, darüber nachdenkt,

7
erstaunet, und den
Olympier
um eine glückliche Erfüllung deßelben anruft.

8
Hierauf geht sie ihre Gespielinnen aufzusuchen, deren jede mit ihrem

9
Körbchen erscheinen; sie gehen gemeinschaftlich in den Fluren am Ufer des Meers

10
Blumen zu lesen. Der Dichter mahlt hier
en miniatur
das Körbchen der

11
Europa,
das wunderartig und prächtig gewesen, ein herrlich Werk des

12
Vulcans
– – Sie kommen an die blumichten Ufer; jede hat ihren Liebling, den sie

13
pflückt; das fürstliche Kind steht in der Mitte bey dem Purpur der Rose. Da

14
erblickte sie Zevs – v wie schlug ihm das Herz, wie fühlte er die Pfeile der

15
Cypris
– sie allein kann ihn besiegen. Aus Furcht für die eyfersüchtige
Juno

16
und das zarte Gemüth des Mädchens durch List zu erobern

17
17–28 Paraphrase von
Bodmer (Übers.),
Die geraubte Europa
, S. 10, Unterstrichenes ist wörtlich zitiert.
Leget er
Jouem
ab, und ward verwandelt zum Stiere,

18
doch nicht dem Stiere des Landmanns ähnlich, sondern mit gewißen Zeichen,

19
die der Dichter bestimmt, und die von solcher Art sind, daß Mädchen nicht durch

20
selbige scheu, sondern neugierig und lüstern gemacht werden. Er bleibt vor

21
der
Europa
stehen und leckt ihr den Hals mit sanften schweigenden

22
Schmeicheln; sie streichelt ihn oder nimmt vielmehr das Herz ihn anzufaßen und mit

23
freundlichen Händen
ihm den
Schaum vom Munde
zu wischen und

24
giebt ihm
kostbare
Küße. Damals brüllt er
so etwas holdes
, daß man hätte

25
schwören sollen, eine helle
mygdoni
sche Flöte zu hören. Er legt sich vor ihre

26
Knie und giebt ihr
umgewandt
sanfte Blicke und zeigt
ihr die Breite des

27
Rückens
.
Europa
schlägt ihren Gespielinnen einen Lustritt vor, und versichert

28
sie, daß er
wie ein Schiff sie alle
tragen würde

29
29–351/6 Paraphrase von
Bodmer (Übers.),
Die geraubte Europa
, S. 11
In ihm lebt ein Gemüth wie eines denkenden Menschen

30
Und ihm fehlt nur die Stimme.

31
Sie setzt sich lachend auf ihn, unterdeßen die andere ihr nachklettern wollen,

32
springt der Stier auf und eilt zum Ufer. Sie
wendt
sich um, sie ruft nach ihren

33
Schwestern, streckt die Hände nach ihnen. Umsonst, die Mädchen vermochten

34
nicht dem Flüchtigen nachzukommen. Er geht ins Waßer wie ein schneller

35
Delphin.
Ein Trupp
Nereiden
um ihn herum; an der Stirn des Heeres

36
Neptunus
der die Wellen sich legen heist und dem
Bruder
die Wege durch

S. 351
sein Gebiet weiset – – ein getreuer Führer der seltsamen Fahrt. Europa hält

2
sich mit der rechten an eins seiner Hörner fest und zieht mit der andern besorgt

3
ihr Purpurgewand zusammen. Dieses ist ein schöner Zug, da die Liebe der

4
Kleider und des Putzes ein Mädchen nicht in der grösten Gefahr verläst und

5
ihr nicht die Aufmerksamkeit darauf entzieht;
und
wie ein schöner Geist

6
sich seines Witzes bey den dunkelsten Untersuchungen erinnert. Da sie
kein

7
Land
mehr sieht, fängt
Europa
an mit ihrem Stier zu reden; druckt ihm ihre

8
8–27 Paraphrase/Zitat von
Bodmer (Übers.),
Die geraubte Europa
, S. 12 bis Ende S. 13 (ohne die letzten zwei Verse)
Verwunderung darüber aus, daß er mit
gespaltenen Füßen
die See nicht

9
scheut? frägt ihn nach den Hafen, wo die Reise hingehen soll, wo er Futter

10
unterwegens herbekommen wird. Vielleicht fliegst du in die blaue Luft, wenn es

11
dir einfällt. Erschrickt über ihre Gefahr und empfiehlt sich in den Schutz des

12
Neptuns,
tröstet sich den Gott bald zu sehen, der die Fahrt mit ihr hält. An

13
diesen Gedanken hält sich ihr Glaube.


14
In Wahrheit, ich fahre

15
Ohne der Götter einen nicht über die waßerne Tiefe.

16
Hierauf antwortet ihr der Stier mit den silbernen Hörnern:

17
Mädchen! sey wohl getrost, und scheue die Wege des Meers nicht

18
führt
orig.: fyhret
Der dich führt ist Zevs und nur ein Stier der Gestalt nach

19
Denn ich kann die Gestalt annehmen, die mir je beliebet.

20
Mich vermocht nur die Liebe,
die in die Brust mir geseßen
,

21
Daß ich das
hohe
Meer in der
fremden Bildung
durchstreifte

22
Bald wird Creta in seinen Schoos dich nehmen, die Insel,

23
Die mich erzogen – –

24
Also sagt er, und
was er sagte, ward alles erfüllet

25
Zevs vertauschte den Stier mit einer würdigern Bildung

26
Alsdann lößt er dem Mädchen den Gürtel
auf
und
die Stunden

27
Decketen unter dem Gott das Brautbett‥


28
Wenn
s
Sie hiermit die Erzählung des
Nonnus
vergleichen, so hat diese

29
weder Anfang noch Ende. Er läßt einen achaischen Schiffer im vorüberschiffen

30
wunderseltsame Einfälle sagen, die mit den seinigen so überein kommen und

31
ein Stück ausmachen, daß man diesen achaischen Schiffer für den Verfaßer

32
des ganzen Gedichts halten sollte. Den Anfang macht er damit, daß er uns

33
auf das Gebrülle eines Ochsen aufmerken läßt, und zwar daß es ein

34
gehörnter Stier
gewesen, daß aber Jupiter seine
Zunge gebraucht
um den

35
Schmerz der Liebe zu brüllen, und von dieser Zunge macht er uns die

36
Anmerkung, daß es
nicht die ächte
Zunge, ich weiß nicht, des Jupiters oder des

37
gehörnten Stiers gewesen.
Auf dieser
sitzt die Schöne, und sieht ihn
mit

S. 352
scheuen Augen an
, warum nicht mit großen Kuhaugen? Sie hält sich mit

2
Schenkel und Hand an seinen Rippen fest
. Aus diesen 4 Anfangszeilen

3
urtheilen Sie das Uebrige.

4
Ist eine der Entäußerungen, liebster Freund, zu denen Zevs die Liebe

5
gebracht, derjenigen gleich, die unsere Religion uns
offenbart. Kunstgestalt –

6
ein Wurm und kein Mensch. – Ich weiß nicht wo ich im Hervey eine

7
Anmerkung über den Wohlstand der Gleichniße, die man auf Gott brauchen

8
Hosea
Hos 5,12
darf, gefunden. Finden wir aber nicht im Hosea: Ich bin dem Ephraim eine

9
Motte und dem Hause Juda eine Made. Verwandelt er sich nicht öfters in

10
Zeus verwandelt sich in goldenen Regen, um Danaë zu erreichen, die Tochter Akrisios’, König von Argos, der sie in einem Verlies versteckt hielt (bspw. erwähnt in
Ov.
met.
4,611ff.).
einen
güldenen Regen
um die Liebe eines Volkes und einer Seele zu

11
Eingeweide
griech. σπλαγχνα οικτιρμου: Eingeweide des Erbarmens, bei Luther übers. als herzliches Erbarmen,
Kol 3,12
,
Lk 1,78
,
2 Kor 7,15
gewinnen. Ist seine Gerechtigkeit nicht eyfersüchtig über die Eingeweide seiner

12
Erbarmung und seiner Lust an den Menschenkindern. Und was für große

13
Entwürfe hat er nöthig gehabt um die erstere, daß ich so menschlich rede, zu

14
blenden – wie viel Bulerkünste braucht er um uns empfindlich zu machen und

15
treu zu erhalten. Muß er uns nicht
entführen
, muß er nicht öfters wieder

16
seinen Willen
Gewalt
brauchen – Sagen Sie mir, wie hat es den Heyden

17
einfallen können die Ehre ihres Olympus in das Gleichnis eines Ochsen, der

18
Lügengeist
1 Kön 22,22
,
2 Chr 18,21
Graß ist, zu verwandeln? Kann ein Lügengeist in ein Haus, oder in ein Volk

19
Wiedersacher
Hi 1,6f.
,
2 Kor 11,14
eingehen, ohne von ihm geschickt zu werden? Steht der Wiedersacher, der das

20
Land durchzieht, nicht wie ein Engel
des Licht
oder wenigstens unter ihnen

21
bürgerl. Edelmans
Molière,
Le bourgeois gentilhomme
, 2. Akt, 4. Auftritt, vgl.
HKB 153 ( I 379/1 )
und
Hamann,
Aesthaetica
, N II S. 213/21, ED S. 208
vor seinem Thron. – Trift uns nicht alle das Lächerliche des bürgerl.

22
Kaiphas
Joh 11,49ff.
Edelmanns, der
Prosa
redete ohne es selbst zu wißen, wie Kaiphas göttl.

23
Rathschlüße. Wie oft bin ich in meinem Leben darüber erstaunt, daß Saul unter

24
Vater
Joh 14,8
den
Propheten
ist. Wenn man weiß wer
ihr Vater
ist, so hat man die

25
Auflösung dieses Räthsels. Jedes
Phoenomenon
des natürl. und bürgerl. Lebens,

26
jede Erscheinung der sichtbaren Welt ist nichts als eine
Wand
, hinter der
e

27
Er steht, ein
Fenster
, wodurch
e
Er sieht, ein
Gitter
, wodurch
e
Er

28
guckt;
e
Er belauret so gut unsere Scherze wie der König der Philister –

29
Niemand als der Christ
meynt
und
erhält
das tägliche Brodt seines

30
überwesentliche
Für die Übers. von griech. τον επιουσιον – etwa in
Mt 6,11
und auch für das Vaterunser – mit ‚täglich‘, ‚auserwählt‘ oder ‚überwesentlich‘; bspw. in Luthers
Auslegung deutsch des Vaterunsers vor die einfältigen Laien
(WA 2, 109)
Vaterunsers, das
wahre
, das
überwesentliche
, an deßen Buchstaben und

31
Schatten der irrdische Mensch sich satt ist. Er behilft sich mit der Uebersetzung

32
Luthers ohne seine Auslegung oder die Qvellsprache zu Hülfe zu nehmen.

33
Darf man sich eines so seltsamen Bulers schämen, und die Gefahr einer

34
so lächerl. Fahrt fürchten, wenn ein breiter Rücken uns fest sitzen läßt, wenn

35
er uns sein Horn – ist des Altars heiliger? anbiethet – wenn der Gott des

36
Meers dem Bruder und Freunde die Wege seines Gebietes weiset; ist
Europa

37
Petrus
Mt 14,28ff.
Geistern
Bodmer (Übers.),
Die geraubte Europa
, S. 11: „Nereiden“
so sicher als Petrus. Eine Gesellschaft von Geistern auf Seeroßen sitzend fuhr

S. 353
um sie herum; und die
krumme
Hörner der Tritons bliesen Hochzeitlieder –

2
krumm wie die
Tropen
der Staatsredner, die nichts geradezu sagen, und den

3
Wind ihres geschwollenen Gesichts durch die Schnörkelgänge ihrer

4
Beredsamkeit mit starker Anmuth – –

5
Fragen Sie mich
also
nicht mehr, ob ich keine Dichter lese. – Das verlangte

6
habe im Buchladen bestellt. HE. B. ist vorige Woche angekommen. Ich habe

7
ihn weder den ersten noch zweyten Jahrmarktstag zu Hause finden können.

8
Mein Vater hat ihn begegnet, dem er versprochen uns zu besuchen; das will

9
ich also abwarten. Ich fand hier von ungefehr eine Uebersetzung eines

10
Platos lehrreiches Gespräch von der menschlichen Natur
, enthält den ersten pseudo-platonischen Alkibiades-Dialog.
platonischen Gesprächs zwischen Sokrates und Alcibiades über die Menschliche

11
ihm
Johann Christoph Berens
;
Immanuel Kant
wird ebenso ein Exemplar bekommen,
HKB 170 ( I 451/16 )
.
Conjuncturen
Verhältnisse
Natur; das ich ihm zu lesen gebracht, weil die jetzigen
Conjunct
uren darinn

12
sehr genau mitgenommen sind.
Socrates
wird ihm als einen abscheulichen

13
Quodlibet
Beliebigkeit
Sophisten
vorkommen, der die Wahrheit zum
Quodlibet
macht, und sie alle

14
Autocheirie
selbst Hand anlegen, manipulieren, auch Bez. für Selbstmord
augenblick zu einer
Autocheirie
verführt, so wie
Alcibiades
die Rolle eines

15
Ideoten
spielt.


16
Bodmer (Übers.),
Die geraubte Europa
, S. 7, V. 3f.: „Schon war Aurora nahe, wann izt ein honigter Schlummer / Auf die augbrauen sitzt, die glieder von fesseln entbindet“
– – wenn ein honichter Schlummer

17
Auf die Augbraunen sitzt – –


18
Denn
wäre
ist es freylich beßer Platonische Träume zu schreiben, als

19
Nimmse
ostpreußisch: Prise
Rechnungen zu machen. Man dankt aber heutzutage eher für eine Nimmse

20
Schnupftoback als für eine gute Zeile aus einem Dichter; und Leute, die

21
niesen, danken …
In
Plut.
mor.
VII,46 (De genio Socratis) wird die Bedeutung des Niesens als Vorzeichen bedacht – ein zufälliges Niesen könne dazu führen, dass man etwas unterlässt, wozu man eben noch entschlossen war. Das Leben des Sokrates war, so weiter, aber gerade nicht von solchen Zufälligkeiten bestimmt, sondern folgte festen Entschlüssen. Das Niesen könne höchstens als ein Zeichen begriffen werden, für das es aber einen Verursacher gebe – welchen Sokrates ‚Genius‘ genannt habe. Die Zeichen zu lesen, sei die Kunst, die Sokrates lehre. Dass der ‚Daimonion‘ Zeichen gebe und nicht etwa das Zukünftige vorhersage, ist auch Xenophons Verteidigung des Sokrates vor der Anklage, er habe neue Götter eingeführt (
Xen.
mem.
2–4).
wißen
, warum sie
niesen
, danken auch für den Seegen. Ich umarme Sie

22
und Ihre liebe Frau. Leben Sie wohl und denken Sie an Ihren Freund.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (38).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, I 399–402.

ZH I 348–353, Nr. 148.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
349/36
Parasit
en
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
Parasiten
350/32
wendt
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
wendet
351/26
auf
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
auf
351/37
Auf dieser
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
diesem

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Auf diesem
351/37
mit
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
mit
352/5
offenbart. […] –]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): offenbart. Knechtsgestalt –
conj.
352/20
des Licht
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
Lichts

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): des Lichts