158
400/27
Vergib mir, mein lieber Bruder, meine List, und laß mich nicht länger als

28
eine blinde Kuh Dir nachlaufen. Es ist Zeit umzukehren mit dem verlohrnen

29
Gib mir …
Spr 23,26
Sohn, sein Elend zu erkennen. Gib mir, mein Sohn! Dein Herz und laß

30
Meine Wege Deinen Augen wohlgefallen. Soll Gott Dir Selbst vom Himmel

31
reden; kann Er eine nähere Stimme dazu brauchen, und eine natürlichere

32
Sprache, als wenn er seinen Ruf durch den einigen Bruder, den Er Dir auf

33
Verstock …
Hebr 4,7
u.ö.
der Welt gegeben, Dir hören läst. Verstock Dein Herz nicht länger dagegen.

34
Brief
nicht überliefert
Dein gestriger Brief hat mich sehr gerührt. Was für eine kindische

S. 401
Begeisterung über dasjenige, was Du nach der Einfalt Deines Herzens für mein

2
Glück ansiehst; unterdeßen Du so sorglos für Dein eigenes dahin lebst. Der

3
Vater, der Freund, das Haus – und die Braut, die ich Dir auf Deinen Wunsch

4
in diesem Briefe zuführe: ist Dein Gott und Dein Mann, Bein von Deinem

5
begraben … auferstanden
Kol 2,12
Bein und Fleisch von Deinem Fleische, in deßen Tod Du begraben worden,

6
Leib … Blut
1 Kor 10,16
mit dem Du wieder auferstanden, und deßen Leib und Blut Du so oft geeßen

7
Wache auf …
Eph 5,14
und getrunken. Wache auf, der Du schläfst und stehe auf von den Todten:

8
Glied … Leibe
Eph 5,30
so wird Dich Christus erleuchten. Sey ein lebendes Glied an Seinem Leibe

9
und erkenne ihn für Dein Haupt. Laß Deinen Willen dem Seinigen

10
Lauf nicht
1 Sam 3,5
unterworfen seyn. Lauf nicht zu Menschen, wenn sie auch
Hohepriester
wie Eli

11
Donner
Hi 37,5
,
Offb 14,2
,
Joh 12,29
u.ö.
wären; es ist Gottes Stimme. Höre; was Er redet. Der rollende Donner, der

12
lispelnde Bach, und die kühle Abendluft im Garten; sind Zungen seiner

13
Eigenschaften. Was sind alle Sonnen und Erden mit ihrer Harmonie; und

14
Morgensterne
Hi 38,7
tönend Erz
1 Kor 13,1
die Sprache der Morgensterne unter Engeln und Menschen. Ein tönend Erz –

15
Blute … Lammes … Anfang
1 Petr 1,19f.
gegen die Liebe, die aus dem Blute Seines Sohnes, Unsers Bruders, des

16
Lammes, das von Anfang der Welt für Uns geschlachtet worden, redet. Laß

17
Blut
Offb 1,5
Saame
Lk 8,11
Sein Blut, da
ß
s für Dich vergoßen, und der Saame Seines Göttlichen

18
Wortes, nicht länger auf die Erde fallen; sondern fange es mit durstiger

19
Seele, mit zerknirschten und gläubigen Herzen auf. Ich bin des Schwertes

20
müde, das mir Gott in die Hände gegeben; wozu muß ich mich in einen

21
für Augen …
Gal 3,1
grausamen gegen Dich verwandeln? Laß Dir Jesum für Augen gemahlt seyn, als

22
Fluch am Kreutz
Gal 3,13
für Deine Sünden zum Fluch am Kreutz gemacht; Laß die Bibel Dein täglich

23
nimm hin
Mt 26,26
u.ö.
Brodt … vom Himmel
Joh 6,31ff., 47ff.
u.ö.
Brodt seyn, nimm hin und iß es, als wenn es zu Deinem Unterricht allein

24
vom Himmel gefallen wäre. Suche nicht Gott mit langen Gebeten,

25
andächtigen Uebungen, Kasteyungen und guten Werken zu versöhnen. Er ist schon

26
versöhnt
Röm 5,10
,
2 Kor 5,18ff.
u.ö.
bereitet
2 Kor 5,5
versöhnt – nicht heute – von Ewigkeit her – und es ist alles für Dich bereitet

27
in diesem und in jenem Leben. Genüß es mit Empfindung Deiner

28
Unwürdigkeit
1 Kor 6,2
Dir erworben … ausgüßen
Röm 5,1ff.
,
Tit 3,5f.
Unwürdigkeit und mit Dank gegen Den, der es Dir erworben, und bitte Gott, daß Er

29
Seine Liebe durch Seinen guten Geist reichlich ausgüßen wolle. Dann wird

30
Dir im Gesicht Deiner Feinde ein Tisch bereitet werden, und Dein Becher wird

31
überlaufen. Anstatt Dornen und Disteln wird Dein Acker Feigen und

32
Trauben tragen. Es wird Dir weder des Morgens an Früh- noch des Abends an

33
wenn gleich … Seytenspiel
Hab 3,17ff.
Spatregen fehlen. Und wenn gleich der Feigenbaum nicht grünen wird, und

34
kein Gewächs seyn wird an den Weinstöcken wenn gl. die
Arbeit
an Oelbaum

35
fehlt, und die Acker keine Nahrung bringen, und die
Schaafe
aus den
Hürden

36
gerißen
werden, und
keine Rinder
in den
Ställen
sind: so wirst Du Dich

37
doch des Herren freuen können und fröhlich seyn in Gott, unserm Heyl.

S. 402
Denn Der Herr ist meine Kraft und wird meine Füße machen wie Hirschfüße, und

2
wird mich in die Höhe führen, daß ich singe auf meinem Seytenspiel.
Habacuc.

3
Deine Zeit wird Dir zugemeßen werden; jede Stunde wird die Länge haben,

4
die zu ihrem Werk nöthig ist. Ein neues Leben in Dir – und außer Dir. Selbst

5
eine Neue Creatur: wird die ganze Schöpfung um Dich herum Neu werden.

6
Du wirst Dich Deines Berufs freuen – Engel werden Dich auf den Wegen

7
deßelben auf ihren Händen tragen, daß Du Deinen Fuß an keinen Stein

8
stoßest. Alles wird Dir zum besten dienen müßen; alle die Fehler und

9
Irrgänge, worüber Dir jetzt die Augen aufgehen werden, und die Dir als Strafen

10
Deiner Thorheit und Unglaubens schrecklich dünken – sind im Grunde nichts

11
als Entwürfe Göttlicher Weisheit und Güte, die Du ohne Dein Wißen

12
erfüllt. Bleibe nur bey Gottes Wort, und übe Dich darinn, beharre in Deinem

13
Beruf, und nähre Dich redlich, und verlaß Dich auf den Herren von ganzem

14
Herzen. Er wirds wohl machen und Dich nicht verlaßen noch versäumen. Er

15
Baumeister
1 Kor 3,10
will weder Dich noch Menschen zu Baumeister Deines Glückes haben. Er hat

16
Himmel und Erde und ihre Heere für Dich bereitet.

17
stumme Geist
Mk 9,25
dein Mund
Ps 126,2
Der stumme Geist wird ausfahren, und dein Mund wird voll Lachens und

18
Liebe
Mt 5,43
Aufrichtigkeit
2 Kor 1,12
Vertrauen
Hebr 3,6
Rühmens seyn. Liebe, Aufrichtigkeit,
Vertrauen
gegen Deine Nächsten;

19
davon wird Dein Mund überflüßen, aus der Fülle und dem reichen Schatz

20
Kieselstein
Spr 20,17
Deines Herzens, das nicht mehr einem Kieselstein ähnlich seyn wird, der

21
überstreuen
Spr 15,7
Sand zum überstreuen
giebt, mit dem sich aber nicht schreiben läßet.

22
Entschlage Dich aller Deiner Nebenarbeiten. Schul- und
theologi
sche

23
Studia
laß Dein Haupt Augenmerk seyn und bitte Gott, daß er Dir alle

24
Lüste des alten Menschen
Eph 4,22
,
Kol 3,9
Lüste des alten Menschen überwinden hilft. Vergiß Deine Pflichten nicht

25
gegen Deinen Wirth; ich habe gedacht Dich durch ihn Gott anzuwerben. Laß

26
Dein Licht leuchten, wirf den Scheffel des Eigennutzes und das Bett der

27
stoltzen Ruhe um – und laß es leuchten vor den Leuten in Deinem Hause –

28
vor den Lämmern Deiner Weide, daß der Name Deines himmlischen Vaters

29
auch durch Dich und an Dir gepriesen und geheiligt werden möge. Nicht uns,

30
Herr! Nicht uns; sondern Deinem Namen gieb Ehre. Amen!

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (bei 69).

Bisherige Drucke

ZH I 400–402, Nr. 158.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
401/10
Hohepriester
]
Druckbogen 1940:
Hohepri ester
; Druckfehler.