223
140/16
Königsberg,
den
21. März 1762.

17
Pettschaft
Mit dem Siegel von
Friedrich Nicolai
, vgl.
HKB 220 ( II 130/31 )
zweier Zeugen Aussage
Vgl. dazu
HKB 221 ( II 134/26 )
.
Unter Ihrem Pettschaft (zweier Zeugen Aussage nach) habe ich gestern die

18
Zuschrift
HKB 221
vom 2. März war wohl erst am 20. März in Königsberg eingetroffen.
Zuschrift eines Ungenannten erhalten, und nehme daher diesen Wink an, Sie

19
Mediateur
HKB 224
geht ebenfalls über
Friedrich Nicolai
an
Moses Mendelssohn
.
zum Mediateur in
unserem
Spiele zu Hülfe zu rufen. Alle müßige Einfälle

20
und Verbeugungen, die in Geschäften nichts als Schleichwaaren sind, bey

21
Seite gesetzt – Sie sind doch der Verleger der Briefe die neueste Litteratur

22
betreffend, und zugleich ein Mann, der die kleinen Angelegenheiten des

23
Autorstandes näher kennt, als durch den bloßen Verlag
fremder
Werke. In dieser

24
Absicht kann es Ihnen daher nicht gleichgültig seyn, daß man einen

25
ob er Scherz versteht
Vgl. den 192. der
Briefe die neueste Litteratur betreffend
(12. Tl., 22.10.1761, S. 192): „Das Salz ist darin mit vollen Händen gestreut, und die immer fortgehende Ironie, ist bisweilen so fein, daß ich bald muthmassen solte, der Verfasser habe einigen unserer heftigsten Wiedersacher eine Nase drehen, und sie glaubend machen wollen, als wenn dieser Bogen eine bittere Satire auf unsere Briefe wäre. Ich nahm mir sogleich vor, Ihnen diesen Bogen zuzusenden, und dem Ungenanten in ein paar Zeilen zu zeigen, daß ich sehr wohl Spaß verstande“
Unbekannten,
(ohne recht zu wissen, ob er Scherz versteht), unter der Hand zu Ihrem

26
anwerben
vgl.
HKB 221 ( II 134/28 )
, Hamann versucht die List, mit der Mendelssohn ihn verunsichern wollte, umzudrehen.
schätzbaren Journal
anwerben
will.

27
Glückt es mir nicht, Ihr Vertrauen durch die Entdeckung dieser kleinen

28
Verrätherey zu gewinnen, so werden Sie sich wenigstens gefallen lassen, als

29
Unterhändler meiner Gegen-Erklärung, solche jenem Ungenannten

30
mitzutheilen
, dessen Zuschrift ich unter Ihrem Pettschaft erhalten. Um mich also

31
ohne Rückhalt Ihnen entdecken zu können, will ich weder eine üble Aufnahme

32
noch einigen Mißbrauch meiner Gesinnungen besorgen.

33
Ein wenig
Selbstliebe
und eine andere Leidenschaft, welche ein altes

34
Lust und Liebe zum Dinge
 … macht alle Mühe und Arbeit geringe.
Sprichwort
Lust und Liebe zum Dinge
nennt, würden vielleicht meiner

S. 141
Schwäche zu dieser Arbeit aufhelfen, mir die Unhinlänglichkeit meiner Kräfte

2
einigermaßen ersetzen können. Die Lage meiner Umstände aber und das

3
gegenwärtige
Ziel meiner Maßregeln untersagt mir jede Verpfändung

4
meiner selbst, sie mag seyn, unter welchem Titel sie wolle, schlechterdings. Der

5
Beweis davon besteht in einem Detail, mit dem ich sie verschonen muß.

6
Um gleichwohl etwas anzuführen,
was zur Sache gehört
, so lebe ich als

7
ein Fremdling im Gebiete der neuesten Litteratur, weil es mir auf meine

8
alten Tage eingefallen ist, noch griechisch zu lesen und hebräisch
buchstabiren

9
inoculirte
geimpfte; vgl. auch den Untertitel von
Hamann,
Lettre néologiques
.
zu lernen. Das blinde Glück zur Rechten und der inoculirte Verstand zur

10
Linken, machen mir meine jetzige Muße so kurz und so edel, daß ich mich

11
fast nicht umsehen kann, sonder Verlust bereits eroberter und noch zu

12
hoffender Vortheile. Ich übergehe alle Schwierigkeiten, die sich selbst zeigen, ohne

13
gewiesen zu werden, auch solche, die sich selbst entwickeln müssen, ohne daß

14
man ihre Zeitigung übereilen darf. So viel von der Unmöglichkeit,
Dienste

15
zu nehmen
.

16
Da es mir also
verboten
ist, eine
handelnde
Person vorzustellen, und

17
Stehe auf, Nordwind!
Hld 4,16
damit der Ungenannte nicht umsonst gesagt haben möge: Stehe auf,

18
Nordwind! so will ich andere Vorschläge thun, muß aber vorher die

19
Nothwendigkeit eines Soufleurs unter
unserem
Himmelsstriche durch einige Gleichnisse

20
noch wahrscheinlicher machen.

21
Woher kommt es, daß Ihre schätzbaren Kunstrichter, die Amsterdam und

22
Paris überrumpelt haben, meines Wissens noch gar keine Beute in
Preussen

23
gemacht? Sollte man nicht denken, daß Alpengebirge, ja, daß zwischen uns

24
Kluft befestigt
Lk 16,26
und euch eine große Kluft befestigt wäre? Sind wir nichts als Siberier?

25
Pregel
Fluss in der Region Königsberg, heutiges Kaliningrad
jener gewaltige Mann
der an Aussatz leidende Naaman nach
2 Kö 5,11f.
oder denkt man von unserem Pregel, wie jener gewaltige Mann, der deutsch

26
F…
vll. Frechheit; mit der biblischen Geschichte von Naaman (der sich wählerisch gibt zu den ihm angebotenen Möglichkeiten zur Heilung) im Hintergrund würde „deutsch“ soviel wie zornig, trotzig, vll. deutlich (worauf etymologisch zuweilen Bezug genommen wurde) bedeuten. Der Bezug Nicolais und der
Briefe die neueste Litteratur betreffend
zur Sprache der Literatur war in Mendelssohns Rezension (5.Tl., 1760, 98. Brief, S. 262) von
Friedrichs franz. Schriften
klar geworden, wo er bedauert, dass der König die deutsche Literatursprache nicht als vorbildliche befördert.
Amona und Pharpar
2 Kö 5,12
zu reden die F… hatte, und die Waßer
Amona
und Pharphar zu
Damaskon

27
für besser ansah, denn alle Wasser in Israel? Vergeben Sie das kleine

28
Brausen, mit dem mein Brief aus seinen Ufern tritt, um die Aufmerksamkeit

29
Ihrer Briefsteller dadurch mehr
nordwärts
zu ziehen, da die Hofsprache zu

30
St. P…
St. Petersburg. Im Januar 1762, nach dem Tod Zarin Elisabeths, folgte Peter III. auf den russischen Thron, der als Verehrer Friedrichs und der preußischen Kultur galt, womit erstens ein Ende des Krieges in Aussicht stand, zweitens eine Bevorzugung der deutschen Sprache gegenüber der von Elisabeth favorisierten französischen.
St. P… vielleicht
deutsch
seyn wird – auch die
figürliche
und
spruchreiche

31
griechischen Erzbischofs
Vll. ist auf
Johannes Chrysostomus
angespielt, dessen Predigten in den 1750ern ins Deutsche übersetzt wurden, u.a. im Rahmen des Versuchs den Predigtstil zu reformieren: hin zu mehr rhetorischer Formung zum Zwecke der Beeindruckung der Kirchengemeinde.
Beredsamkeit des griechischen Erzbischofs –

32
Froschmäusler
Froschmäusekrieg
Von Heldengedichten auf
Froschmäusler
zu kommen, so verdienen selbst

33
die kleinen Herolde des Frühlings und
Friedens,
in jenem Sumpfe meiner

34
Heimat, einige Achtsamkeit; nicht eben wegen ihres Gesanges, sondern

35
natürlichen Geschichte
vll. Anspielung auf Mendelssohns Behauptung, die Beziehung zwischen ihnen sei experimenteller Art:
HKB 221 ( II 135/28 )
bisweilen wegen
Ihr
natürlichen
Geschichte, die Ihr Ungenannter auch zu lieben

36
scheint. Ich weiß daher den Mangel an
preussischen
und
nordischen

37
XI. Theilen und den zwei Bogen des XII.
Briefe die neueste Litteratur betreffend
Neuigkeiten, die Litteratur betreffend, in Ihren
XI.
Theilen und den zwei Bogen

S. 142
des
XII.
mit nichts sonst zu entschuldigen, als daß es den schätzbaren

2
hyperboreischen
im hohen Norden gelegen
Verfassern an Kundschaft in unsern hyperboreischen Gegenden fehlen muß.

3
Ob nicht mit der Zeit hiedurch einiger Nachtheil erfolgen könnte, und ob

4
abwechselnde Aussichten den Lesern unangenehm seyn möchten, überlasse ich

5
Ihrem eigenen Urtheile.

6
Dieser Einleitung zufolge dürfte Ihnen mehr an einem Correspondenten

7
Apelles bey der Leinwand
Apelles von Kolophon
, bei Plin.
nat.
35,36,85 ist anekdotisch überliefert, dass Apelles, hinter seinen Bildern versteckt, Urteilen der Betrachter gelauscht habe. Der Kritik eines Schusters an gemalten Schenkeln, habe er entgegengesetzt: Schuster bleib bei deinen Leisten.
hinter dem
Schirm
als an einem Apelles bey der
Leinwand
gelegen seyn,

8
und weil unser kalter Boden sich eben nicht überträgt, auch die kleinen Rollen

9
Ohrenbläser
Schmeichler
in der Litteratur
selten
sind, wo ein guter Acteur ohne einen
Ohrenbläser

10
einige Ziegel
1 Mo 11,3
nicht füglich fortkommen kann, so würde es bloß auf einige
Ziegel
zum Bau

11
der neuesten Litteratur ankommen, die ich aus Liebe meines Vaterlandes mit

12
jene heilige Einfalt
Jan Hus
soll auf dem Scheiterhaufen „O sancta simplicitas!“ gerufen haben, als Bauern noch mehr Holz herbeiholten.
eben dem Eifer liefern möchte, womit jene heilige Einfalt sich zum

13
Scheiterhaufen eines Ketzers drängte.

Provenienz

Druck ZH nach Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 140–144. Das Original war ZH zufolge mglw. früher in der Staatsbibliothek zu Berlin; weder dort noch in den Krakauer Beständen ist es jedenfalls aufzufinden.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 140–144.

ZH II 140–142, Nr. 223.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
140/16
Königsberg,
]
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH:
Königsberg
140/19
unserem
]
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH:
unserm
140/25
Unbekannten,
]
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH:
Unbekannten
140/30
mitzutheilen
]
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH:
mitzuteilen
141/8
buchstabiren
]
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH:
buchstabieren
141/19
unserem
]
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH:
unserm
141/26
Damaskon
]
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH:
Damaskus
141/26
Amona
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Amana
141/33
Friedens,
]
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH:
Friedens
141/35
Ihr
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): ihr
er