225
144/6
Königsberg den
26 März 1762.

7
Herzlich geliebtester Freund,

8
Popowitsch ist gestern angekommen, wofür ergebenst danke. Ich hoffe recht

9
sehr damit zufrieden zu seyn und werde so bald wie möglich das Geld abgeben.

10
freye Beurtheilung
Vgl.
HKB 222 ( II 136/17 )
Es ist mir lieb, daß Sie meine freye Beurtheilung Ihres Schulstückes nicht

11
übel genommen. Sie ist gut gemeynt gewesen. Sie bitten sich das Paar

12
versprochene Erinnerungen aus. Hier findt sich ein Misverständnis. Es waren

13
die beyde, die ich machte 1.) über das
teufelische Gemüth
, welcher Ausdruck

14
mir für ein Kind zu
männlich
und zu roh vorkam 2.) über d
as
ie abgezirkelte

15
de gustibus non est disputandum
dt.: Über Geschmack läßt sich nicht streiten.
Entwickelung. Ich setze immer die Regel zum voraus:
de gustibus non est

16
Absaloms Sünde …
2 Sam 16,22f.
disputandum,
kein Geschmack ergrübelt sich. Absaloms Sünde war eine

17
Strafe Davids für Ehebruch und Meuchelmord, die ein eben so
teufelisch

18
Gemüth im Vater
zum voraus setzten. Bey einem Kinde setze ich keinen

19
rechten Verstand oder kein rechtes Gefühl derjenigen
Schandthat
zum

20
voraus, die er an seines Vaters Kebsweibern begieng. Ein christl. Kind könte

21
sonst auch denken: warum hielt sein Vater so viel verhaßte Menschen? –

22
Ein Kind muß mehr gewöhnt werden das Verderben seines eigenen Herzens

23
aus der Geschichte kennen zu lernen, und nicht
richten
sondern angeführt

24
Quid damnas? de te fabula narratur
Hor.
sat.
1,1,69f.; Hamann setzt „damnas“ an die Stelle von „ridas“ („lachst“): „Was verdammst du? die Geschichte handelt von dir.“
werden für sich selbst zu zittern.
Quid damnas? de te fabula narratur.

25
Dergleichen Sommerflecken in Ihren Carakteren lohnen nicht der Mühe, daß

26
man sich dabey so lange aufhält, laßen sich auch durch äußerliche Reinigung

27
nicht so leicht vertreiben. Es sind
Crudit
äten
, die in der
Idee
liegen, in der

28
Grundlage der
idealischen
intellectualischen Geschöpfe, die ein Autor dichtet

29
naturam si expellas furca
Hor.
epist.
1,10,24: „naturam expellas furca“ – „die Natur magst du mit der Heugabel austreiben“.
naturam si expellas furca
– eben so geht es mit dem Gantzen, und was

30
im Plan selbst liegt; da hilft keine Feile mehr. Der Druck giebt vielen Dingen

31
ein ander Ansehen wie ich selbst noch kürzlich erfahren habe. Seyn Sie also

32
ruhig. Das Ihrige haben Sie gethan – – und was soll ich viel sagen, da es

33
Artzt, hilf Dir selber!
Lk 4,23
vielleicht bald mit mir heißen wird: Artzt, hilf Dir selber! u. s. w.

34
Kurschen Correspondance
Briefwechsel mit dem Kurland, wo sich u.a.
Gottlob Immanuel Lindner
und
Christoph Anton Tottien
aufhielten.
Mit der Kurschen
Correspondance
geht es recht, wie Sie sagen. – Hat

S. 145
P. Rupr. schon erhalten seinen Bogen und haben Sie schon das Geld

2
auszahlen können? Seitdem habe nichts mehr davon gehört.

3
Prediction sur la n. H.
habe gelesen.
Ni Queue ni tete
ist nicht mehr;

4
sonst hätten Sie es schon.
NB.
Eine Bitte, worinn ich mich hier nicht

5
befriedigen kann und die Sie dort mehr Gelegenheit haben. Was heißt

6
Amphigouris, amphigouriques und Lazis
Frz. amphigouri: Unsinnsgedicht; ital. lazzi, Begriff aus der ital. Commedia dell’arte für clowneske Elemente im Drama. Das Wort ‚amphigouris‘ verwendet
Sticotti
in der von Hamann in
HKB 222
und in den
Näschereyen
(N II S. 191/37, ED S. 153) zitierten Passage über
Rousseaus
nouvelle Héloise
. Die ‚Lazzis‘ sind bspw. Thema in
Mösers
Vertheidigung des Groteske-Komischen
(S. 64), die mit Zitat der entsprechenden Stelle in den
Literaturbriefen
rezensiert wurden (12. Tl., 1761, 215. Brief, S. 353).
Amphigouris
, amphigouriques
und
Lazis
eigentl., fürneml. das erste Wort. Sollte

7
es nicht
Mauvillon
haben, oder im
Diction. Encycloped.
stehen, und wo

8
mögl. die
Etymologi
e, oder aus welcher Sprache es herkommt.

9
Noch hab ich nicht aus dem Hause gehen können; ich bin so überhäuft,

10
daß ich fast unterliege. Gott weiß wo alles herkommt. Dies ganze Jahr fast

11
Platon
Platon
den
Platon
und das arabische kaum recht ansehen können; und doch soll der

12
sauersten Arbeit
Vmtl. die Korrekturen des Drucks der
Kreuzzüge
.
Sommer zu Ergötzlichkeiten bestimmt seyn. Mit meiner sauersten Arbeit geht

13
Alea iacta
„Der Würfel ist gefallen.“ Ausspruch Caesars bei der Überquerung des Rubikon. Überliefert etwa bei Plut.
Pompeius
60 und Suet.
Caes.
32.
es diese Woche wills Gott! zu Ende, und damit will ich auch
pausi
ren.
Alea

14
iacta;
jetzt kommt es darauf an, ob ich aufhören oder erst anfangen soll. Ich

15
muß mich auf beydes wenigstens gefaßt machen und gehörig zubereiten.

16
Mein Wahlspruch bleibt:


17
Was ich geschrieben hab …
Lat.: quod scripsi scripsi. Vgl.
Joh 19,22
.
HKB 202 ( II 63/35 )
Was ich geschrieben hab, das decke zu

18
Was ich noch schreiben soll, regiere Du.


19
klein Wortspiel
Untertitel im
Lateinischen Exercitium
, N II S. 219, ED S. 221: „dem eiteln Wandel nach Väterlicher Weise gemäß, öffentlich aufgeführt worden von einem verlornen Sohne U.[nsrer] L.[ieben] F.[rau] Albertine.“
In der deutschen Sammlung ist ein klein Wortspiel, das Sie nicht übel

20
auslegen werden. Es war da,
ehe
ich von
ihrem Schuldrama
was wußte,

21
und kann so wohl auf mich selbst als auf Sie gedeutet werden; zielt am

22
meisten auf unser beyder Mutter, die liebe Albertine. Die Gelegenheit dazu

23
gab mir mein lateinisches Exercitium, was hinter Ihrer
Disputation
steht,

24
Juvenilia
„Jugendwerke“ in den
Kreuzzügen des Philologen
.
HKB 224 ( II 143/18 )
das ich auch habe zum Füllstein gebraucht. Meine
Juvenilia
stehen hier

25
zusammen, und machen ein
Iournal
meiner Autorschaft; woraus Nachfolger

26
Wein zu Essig
Vgl.
HKB 224 ( II 143/33 )
Aristobulus
Aristobulus
, genannt auf dem Titelblatt von
Hamann,
Akademische Frage
ersehen können, wie der
Wein
zu
Eßig
wird. Der Aristobulos fängt an; das

27
Denkmal auf meine Mutter
am Ende der
Kreuzzüge
, N II S. 233–238, ED S. 241–252
Denkmal auf meine Mutter beschliest das Werk, von 15 oder 16 Bogen.

28
Stark genug!
Anspielung auf die Kritik
Ziegras
an den
Sokratischen Denkwürdigkeiten
, die Hamann bereits im ersten Aufzug der
Wolken
aufgreift (W S. 55, N II S. 86/14–17, ED S. 30).
Stark genug! werden die Hamburgischen Nachrichten abermal sagen können.

29
Heute habe zu meinem großen Vergnügen, aber zu meiner eben so großen

30
Verwirrung oder Verlegenheit eine Antwort mit
Nicolai
Siegel erhalten. Da

31
der Innhalt dieses Briefes
in petto
bleiben soll: so wollen wir uns
beyde

32
darnach richten, biß ich Gelegenheit habe Ihnen mehr zu sagen.

33
Gott wird auch Ihren Wünschen den Weg bahnen; ich würde mich herzlich

34
erfreuen, Sie in meinem Vaterlande umarmen zu können. Schicken Sie doch

35
Ihren Bruder, so bald wie möglich, statt Ihres Vorläufers. Sollte sich Rahel

36
nicht durch einen kleinen Joseph legitimiren?

S. 146
gl.
Groschen (in Königsberg war der Kupfergroschen üblich; für 8 Groschen gab es ca. zwei Pfund Schweinefleisch)
Athenagorä Apologie
Apologia pro Christianis
Ich habe für 9 gl. eine schöne
Stephan
sche Ausgabe von Athenagorä

2
Rede über die Auferstehung nebst Petri Bunelli
Bunellus,
Galli
Apologie und Rede über die Auferstehung nebst
Petri Bunelli (praeceptoris)

3
Pauli Manutii (discipuli) et aliorum Gallorum pariter et Italorum epistolae

4
Ciceroniano stylo conscriptae
aus eben der
Officin
und eine recht reine

5
Ausgabe von
Demetrio Phalereo
ohne Uebersetzung nebst
beygebundnen

6
Kongehlschen Auction
Aus dem Nachlass von
Christian Gottlieb Kongehl
.
griechischen
Donat
und lateinischen Gedichten erstanden – aus der Kongehlschen

7
Auc
tion.

8
Moldenhauer will seine Erklärung über die H. S. drucken laßen;
pro

9
fl.
Gulden, Goldmünze, hier aber 1 polnischer Gulden, eine Silbermünze, entsprach 30 Groschen.
Bogen 16 fl. hat 18 Jahre daran gearbeitet. Ich habe eine Probe davon zur

10
Durchsicht bekommen. Sie ist würklich ein Original in ihrer Art, ein eben so

11
stilles als tiefes Waßer, wo der einfältigste Leser und der Gelehrte das seine

12
findt. Sie bleibt immer bey dem Wortverstande mit einem kalten Blute, mit

13
einer Deutlichkeit, die unnachahmlich ist. Ich bin sehr dafür, daß dies Werk

14
bekannt würde; es wird aber viel kosten den Eigennutz des Verfaßers und

15
den Geschmack der Leser zu gewinnen. Das letztere halte ich für leichter; das

16
erstere hab ich dem Verleger überlaßen. Kunst und Natur sehen sich hier

17
einander so ähnlich, daß es fast nicht möglich ist sie zu unterscheiden. Mein

18
consilium fidele
getreulicher Rat; vll. hier der Plan einer Rezension
consilium fidel
e denke morgen darüber aufzusetzen.

19
Vergeßen Sie doch nicht
Amphigouris
– Ich empfehle mich Ihrer

20
Freundschaft und geneigten Andenken. Mein Vater grüst Sie aufs herzlichste. Ich

21
umarme Sie und Ihre liebe Hälfte unter Anwünschung eines frölichen

22
Osterfestes und ersterbe Ihr treuer Freund.

23
Hamann.


24
Auf die Woche fängt sich hier
ein
die Auction eines reformirten
P

25
Landpredigers
nicht ermittelt
Landpredigers an, wo sehr rare und ausgesuchte Schriften sind. Leben Sie

26
wohl.



S. 493
Handschriftliche Anmerkungen von Johann Gotthelf Lindner:

33
Zu HKB 225 (II 145/8):
Absal. wiehernder Hengste Übermuth

34
Zu HKB 225 (II 146/18):
Leisetritt der Katze
auf
Nußschaalen. Ruth

35
verklärte Augen.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (79).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 137–140.

ZH II 144–146, Nr. 225.

Zusätze fremder Hand

493/33
Johann Gotthelf Lindner
493/34
–35
Johann Gotthelf Lindner

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
146/5
beygebundnen
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
beygebundenen
493/32
–35
Handschriftliche […] Augen.]
In ZH im Apparat.