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169/11
Lieber Bruder,

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Gott Lob beßer und No 2. mit meiner Arbeit so gut als fertig. Der

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Termin, der letzte Augenblick, thut bey mir große Wirkungen. Wenn ich auch

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arbeiten will, die Vorstellung daß ich Zeit habe macht mich so schwierig so kalt,

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daß ich nicht aus der Stelle kommen kann, mag wollen oder nicht. Ist aber

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kein Rath mehr aufzuschieben; nun denn muß es, und eine Stunde bringt

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mir bisweilen verlorne Wochen ein. Sie ist weit unter der Anlage gerathen;

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die Idee davon ist lange nicht in der Ausführung erreicht. Dergl. Betrug

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seiner selbst muß sich der Mensch gefallen laßen; er dient zu vielen Guten.

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Fontenelle,
Nouveaux Dialogues des Morts
; Zitat aus dem zweiten Dialog: „Artemise, Raimond, Lulle“
Fontenelle sagt: Man würde dasjenige nicht thun, was man kann
wenn

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wenn man nicht die Hofnung hätte mehr zu thun als man kann. So hängt

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der Gebrauch unserer Kräfte mehr von unserer falschen Einbildung als

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unserm Willen ab. Ich bin in 2 Abenden mit Abschreibung derselben fertig

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geworden und sie ist gestern Nacht mit einem Expreßen auf die Post abgeschickt

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worden um nach Riga zu gehen. Die letzte Hand fehlt noch daran; die wird

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mein B. dazu thun. Er hat zu vielen Antheil an meinem Entschluß das Werk

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selbst zu übersetzen als auch an dem Inhalt des Anhanges. Ich glaube sie

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wird 3 oder höchstens in allen 4 Bogen austragen. Hinten kommt noch die

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Rede des HE. von Dangeuil angehängt bey seiner Aufnahme in die Akademie

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zu Stockholm.
Ich
Sie steht im Hamburgischen Correspondenten. Wenn

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du den gelehnt bekommen kannst vom vorigen Jahr: so wollte ich die

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Nummer
Dir anzeigen, damit ich die Zeit v. Mühe des Abschreibens ersparen

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könntest
. Melde es mir mit der ersten Post. Ich habe sehr um geschwinde

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Zurückschickung des
Mst.
aus Riga gebeten. So bald ich es bekomme, bringt es

S. 170
Dir die erste Post mit. Vielleicht geht es noch mit dem Ende der nächsten

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Woche ab. Driest muß arbeiten; die Hände haben keine Stunden wie der Kopf.

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Auf den Fleiß eines Handwerkers kann man eher dringen als auf den Fleiß

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eines Autors wenn er auch nichts mehr als ein Uebersetzer ist. Du wirst eine

5
Rhapsodie
von Ein- v Ausfällen zu lesen bekommen die Dich vielleicht so

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bald als mich ermüden wird. Ich wollte meinen Namen gern so viel als

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möglich vertuscht wißen. Noten versteht sich so; die Menge. Mein Text hat sie

8
vielleicht
so
nöthiger gehabt als mancher Autor Claßicus. Die Münztabelle zu

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Ulloa muß auf einer Seite auskommen; und mit kleinen Lettern gedruckt

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werden. Das unterstriechene die allerkleinsten. Sorge mein lieber Bruder für

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alles. Ich hatte Dir auch ein stillschweigend
Compliment
zugedacht aber

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wieder ausgestrichen. Die Ehre
Corrector
zu seyn ist eine Gefälligkeit Deiner

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Freundschaft und ich habe meine Leser gebeten die eingeschlichene Fehler zu

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entschuldigen. Würde man sich nicht daher an Dir gehalten haben?

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Mein Versprechen werde gewiß halten; und den Ausschuß der Bücher

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meine erste Arbeit seyn laßen, wenn ich jene abgefertigt habe. St. Evremond,

17
das Leben Julians, der Abt
Villiers cet.
werden Dir lieb seyn. Vergiß dafür

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Dein Wort und meine Bitten nicht, die ich an dir gethan. Ist es wahr daß

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L’Academie des Graces
von der Schönheit handeln. Wenn mir Gott

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Gesundheit giebt, so möchte wohl eine andere Arbeit mehr nach meiner Neigung

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übernehmen. Muß sehen ob die Aufnahme dieser mich dazu ermuntern wird. Ein

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Theil eines guten Urtheils wird auf meine Dunkelheit und Unwißenheit

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meines Namens beruhen. Sorge dafür daß ich nicht verrathen werde. Es sollte

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Postpapier
feines Papier, muss mit Tinte gut beschreibbar sein
mir sehr verdrüßen wenn keine Exemplaria auf Postpapier abgedruckt wären.

25
Ich habe sie bestellt und mich darauf verlaßen.

26
Ich bin gewiß sehr neugierig den Abdruck zu sehen. Schicke mir doch

27
denselben sobald ich die andern Sachen bekomme. Man muß schlechterdings vor

28
Ostern
18.4.1756 (Ostersonntag)
Ostern fertig werden. Melde mir doch wie weit man mit dem Auszuge ist

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und wenn man damit zu Ende kommt. Dringe mit Ernst darauf, daß Driest

30
fördert. Der Narr dringt auf meine Fortsetzung v stellt sich ängstlich wartend

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an; da noch 3 Bogen von alten
Mst
übrig sind. Wenn ich ihm schreiben sollte

32
ich könnte ihm nicht anders als die Nase wischen.

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Mein lieber Bruder! Nimm Dir meine Sachen so viel wie
Du
kannst an.

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Ein wenig Feuer, wenn ich bitten darf. Ernst genug bist du. Brauche Deine

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künfftige Amtsminen. Wenn Du nach meinem Sinn alles gemacht hast, ich

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will Dir recht gut dafür seyn. Du hast mich niemals um Erklärung gebeten;

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verstanden wirst du mich also allemal haben. Ich lese die leeresten Briefe

S. 171
zehnmal durch wenn Sie die geringste Kleinigkeiten betreffen, wo ich den

2
Sinn des Schreibers außer seinen Worten recht verstehen will. Bey meinen

3
Briefen hast du wegen der Flüchtigkeit Unordnung Kürze mehr Mühe v

4
Auseinandersetzung nöthig.

5
Mit erster Post erwarte von Dir. Denke wo ich die Zeit hernehme alles zu

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schmieren. Gott! gieb Gesundheit und Ruhe! Was machst Du? Ja noch eins.

7
Nordencrantz,
Ursachen vom Untergange des Gothischen Reiches in Spanien
, vgl.
Hamann,
Beylage zu Dangeuil
, von Hamann in den Text von Dangeuil eingefügte Anmerkung, ED S. 272
In Ansehung der schwedischen Schrift über den Verfall der Gothischen

8
Regierung in Spanien bin ungewiß; ob Bachmanson Autor davon ist. Die

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Zeitungen haben es nur gesagt; v ihn als einen jungen Mann genannt. Ich

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zweifele daran. In der ersten Zeile seiner Abhandlung beruft er sich auf ein

11
ander Werk was er geschrieben. Er fängt so an: In meiner
Anatomia et

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Scrutam. Status politiae et oeconomiae Suecanae Tom. I. Cap.
2 ist

13
erwähnt worden ppp. Ungeachtet alles Nachsuchens habe auch dies Werk

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nirgends angeführt finden können, deßen Verfaßer unmögl. unbekannt seyn

15
kann. Weil es nun eben derselbe von der historischen Beschreibung ist; so

16
Doktor
Benedict Wetterstein
bekümmere Dich doch. Der schwedische neue Doktor Theol. könnte Dir

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vielleicht Nachricht geben. Vergiß dies nicht. Mich wundert daß Achenwall in

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seinen Schriften das Buch über Schweden nicht angeführt. Gieb Dir alle

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Mühe du hast allenthalben Hülfsmittel dies zu erfahren. Mir fehlt es daran.

20
Das lateinische Werk kann unmögl. unbekannt v muß wichtig seyn. Melde

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mir denn mit nächsten, was du davon eingezogen. In allem Fall könntest Du

22
dich an Buchholtz schlagen der bey dem schwedischen Theolog sich darnach

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erkundigen könnte. Haben mich die Zeitungen in Ansehung des Namens

24
betrogen v er ist schon abgedruckt so kann hinten ein
Errata
gemacht werden.

25
Darum wollte ich auch gern den schon geschehenen Abdruck haben um was da

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wäre noch gut zu machen.

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Was machen Wolson v Lauson? Grüß den ersteren v
complimenti
re den

28
letzteren. Heut kommt ein neu Federmeßer an. Meine künfftige Briefe

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werden wenigstens alle beßer geschnittene Keile haben. Mit genauer Noth noch

30
einen an meine lieben Eltern hobeln können. Dies hatte mich bald bewogen an

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Sie mit dieser Gelegenheit nicht zu schreiben. Ich fürchte mich aber daß Sie

32
für meine Krankheit v hypochondrische Grillen die mir auf dem Bett

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entfahren waren, unruhig seyn möchten. Mit beyden ist es beßer; oder vielleicht

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höchstens abwechselnd. Gieb Ihnen so viel zu thun mit deinem eigenen Glück

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und Ihrem Antheil darüber, daß Sie desto ruhiger an mir denken. Die Natur

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hat uns Menschen an der äußerl. Gestalt und dem inneren Sinn unterschieden.

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Ihre Mannigfaltigkeit ist so gut Weisheit als ihre Einfalt; sie bedient sich

S. 172
beyder zu ihren Absichten, die immer das gemeine beste zum Augenmerk

2
haben. Ich weiß daß mein Sinn ziemlich unbiegsam ist, der sich so wenig in

3
seine eigene Denkungsart als in anderer ihre allemal schicken kann. Er hat

4
aber auch seine Schneide und seinen Rücken. Man kehr mich um, sagt ein

5
äsopisch Meßer
nicht ermittelt
äsopisch Meßer zu seinem Herren, die andere Seite wird dir mehr Bißen

6
schneiden, als Du brauchst um satt zu werden. Wenn
du mich
ich Dir

7
brauchen willst
dienen soll, so mach die Augen auf und sieh wozu und wie?

8
Hüt Deine Finger, Deine Gedult ist Dummheit; und ich bin Stahl wo ich es

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seyn soll. Lebe wohl, lieber Bruder, das Meßer machte seinen Herren klüger

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ohne daß es reden durfte. Er sah; wenn er hätte sehen können, so würde er

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auch gedacht haben. Ich umarme Dich. Die Seite ist voll. Man muß doch was

12
schreiben um das Postgeld nicht halb umsonst zu bezahlen. Ein guter Wirth

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hierinn ist Dein Bruder.


14
Von Johann Christoph Hamann (Bruder):

15
Bru
meus frater
den 7. beantwortet.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (41).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, I 272–275.

ZH I 169–172, Nr. 69.

Zusätze fremder Hand

172/15
Johann Christoph Hamann (Bruder)

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
169/20
wenn
]
Druckbogen 1940 und ZH:
wenn | wenn
; vmtl. Wortverdopplung am Zeilenfall.
169/32
Nummer
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
Nummer
169/33
könntest
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
könnte

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): könnte
Verschreibung Hs.
170/33
Du
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
du