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30/8
greg. 28.03.1753
Riga den
17/28 Märtz. 1753.

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Herzlich geliebtester Vater,

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Ich habe heute eben einen Brief von Ihnen erhalten, darinn eine Einlage

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von HE.
Mag.
v ein kleines Papierchen von meinem Bruder gewesen. Sie

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bekommen durch einen Apotheckergesellen, den ich nicht kenne v bey einer Mad.

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Casserius
nicht ermittelt
Casserius
in Diensten gewesen, gegenwärtigen Briefe mit einer Sammlung

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von mehreren, die ich gern größer v stärker gemacht hätte, wenn es mir

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möglich gewesen wäre. Weil dieser Mensch schon morgen wegreisen wird, v ich

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seine Abreise erst mit dem Ende dieser Woche vermuthete: so bin ich etwas

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übereilt worden. Ich werde das übrige durch einen andern Fuhrmann

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nachzuholen suchen. Den Herrn RegimentsQuartierMeister Link v HErrn
Secret.

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Sahme insbesondere hätte ich gern geschrieben. Obgleich mein Herz nicht leer

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an Empfindungen ist, die ich für meine liebe Eltern habe; so wird doch dieser

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Brief nicht gar zu lang gerathen. Meine Nachrichten, die ich wöchentlich

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fortzusetzen willens bin, nehmen mir einiger maaßen die Materie dazu
diesem

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Briefe
weg. Ich will aber doch einige Sachen melden, die ich mich gefürcht

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habe über der Post zu berichten. Ein guter Freund, zu dem ich am meisten

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gehe, hat mir im Vertrauen v. als ein Staatsgeheimnis entdeckt, daß die

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auswärtigen Briefe hier alle entsiegelt würden, v. daß er selbst diese KunstStücke

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wüste. Er will sich hierüber gar nicht auslaßen v. giebt vor den Augenblick es

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einem Briefe anzusehen, der diese Probe ausgehalten hat. Ich bin jetzt auf

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das Siegel immer sehr aufmerksam, thun Sie doch ein gleiches. Die Geheime

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Cantzelley soll sich damit hier beschäfftigen. Diese Erzählung kommt mir, die

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Wahrheit zu sagen, ziemlich verdächtig v. unglaublich vor. Er hat mir

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Kegeln
heute Ķieģeļmuiža (Bezirk Kocēnu), Lettland [57° 28’ N, 25° 13’ O]
zugeschworen, daß alle Briefe, die ich aus Kegeln an ihn geschrieben, erbrochen

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v. auch bisweilen mit dem Post Siegel offenbar wieder zugemacht worden

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wären. Der Zusatz, v die Versicherung, die er mir giebt, daß er gewiß wüste,

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die seinigen würden damit verschont, befremdt mich noch mehr da er so übel

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mit zufrieden zu seyn schiene, daß Sie in Ihrem letzten an ihn eines Briefes

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gedacht hätten, der mit einem Fuhrmann gekommen wäre. Sie solten in ihren

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Briefen niemals an dergl. Sachen gedenken, weil dieses aufs schärfste

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untersagt wäre, mit Fuhrleuten zu schreiben. Es kann dieses vielleicht eine bloße

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Erdichtung einer eingeschreckten Einbildungskrafft v. einer Neigung zu

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eingebildeten Staatsgeheimnißen seyn; oder es muß mehr darunter stecken.

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Herr Belger hat mir neulich einen Brief von seinem Herrn Swiegervater

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mitgetheilt, der ihn sehr misvergnügt machte. Er war so lamentable

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geschrieben, als Sie jemals einen von dem Preller, meines Bruders ersten

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Schulmeister bekommen haben v. ein rechter Bettelbrief. Er bestürmt ihn mit

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Briefen von der Art, die ihm das dritte Theil von demjenigen bald, was er ihm

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überschicken kann,
kosten
an Post Geld kosten. Seine güldene Praxis hat in

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Riga aufgehört; er hat jetzt andere Wege im Sinn sein Glück beständiger zu

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machen. Gott gebe, daß sie ihm gelingen! An Feinden fehlt es ihm nicht v es

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giebt in Riga andere Feinde als in Königsberg. Sie sind feiner v. grausamer.

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Sein Haus ist jetzt ungewöhnlich leediger geworden, als wie ich das erste mal

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da war. Es kann seine damalige Krankheit die häufigen Besuche verursacht

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haben. Das Haus, das er gekauft hat v davon der Zahlungs
Termin

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mehrentheils aus seyn wird, scheint Ihnen auch viel Sorge zu machen. Die Straße,

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worinn es steht, ist schlecht, wenn es erst recht ausgebaut seyn wird, so wird

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es sehr viel Beqvemlichkeit haben. Es fehlt nicht an kleinen v. hinlänglichen

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Stuben, wenn diejenigen dazu kommen werden, die er willens ist, zu bauen.

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Gute Einfahrt, Ställe v ein ziemlich geraumer Hoff, machen daßelbe noch

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brauchbarer. Der Mann, von dem ers gekauft hat v der auch bey ihm speist,

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Gelegenheit
Stockwerk
Pantzer
Philipp Belgers
Untermieter
hat die obere Gelegenheit mit seinen Leuten ein; er heist HErr Pantzer, v ist

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von einem sehr angenehmen
phlegma
im Umgange, voller schleichender

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Einfälle, wegen der er in Gesellschaften insbesondere vom Frauenzimmer gern

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gesehen wird.

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Sie berichten mir die Abreise des Herrn von Volckersaamen mit seiner

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Gnädigen Mutter. Ich habe schon hier davon gehört, man sagt gar, daß sie ihn

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wieder mitbringen wird. Sie ist an einen gewesenen
General Oeconomie

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Directeur
von Mengden, einen Bruder deßen, wo HE. Blanck in
Condition

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gestanden, verheirathet gewesen und hat sich von ihm scheiden laßen. Ihr

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gewesener Gemahl wohnt nicht weit zur Miethe von HErrn Belger; v ist mir

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als ein Mann von einem fürtreffl. Gemüthe v. Verstande beschrieben worden,

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sie hingegen als eine Frau, deren Menschenliebe v Leutseeligkeit gegen das

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männliche Geschlecht sich bisweilen sehr herunter laßen soll. Andern

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Nachrichten zu folge ist er ein Mann, der keine, oder eine poßierliche oder eine schiefe

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Nase ha
ben soll
t, der kein engelreines Leben führt, auf deßen Stuhl man

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sich zu hüten in Acht nimmt, v. deßen Anblick ziemlich eckelhafft seyn soll.

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Diese Urtheile, die Menschen über Menschen fällen, sind für einen Sammler,

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wie ich bin, v der so unpartheyisch ist, sehr belustigend. Ich brauche sie mein

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Vorurtheil wieder die Welt damit zu nähren.

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Meine Lebens Art ist übrigens so einförmig, liebster Papa, wie ich selbige

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Ihnen immer beschrieben habe. Herr Gericke besucht mich bisweilen, er ist

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aber schon öffterer bey mir als ich bey ihm
gewesen.
Herr Lado, der nach

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Ostern ordinirt werden wird, v in seinem Priesterrock schon geht, hat mich

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Reißmann
nicht ermittelt
auch einmal besucht. Herrn Belger, HE Reißmann v Herrn Pantzer habe ich

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auch einmal des Abends bewirthet.

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Eben jetzt bin ich von HErrn Gericke v einem seiner Anverwandten, der

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seinen Sohn mit brachte, gestört worden. Sie haben mich wegen des schönen

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Wetters eine halbe Stunde spatzieren geführt nach der neulichen Brandstätte

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in der Vorstadt. Ich habe mich bey Ihnen mit meinen Geschäfften entschuldigt

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v Sie haben Ihren Besuch daher kurz gemacht. Ich will noch an meine liebe

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Mutter v Bruder schreiben. Die Uhr schlägt 5 v. die Briefe sollen noch heute

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von mir selbst zu HErrn Belger gebracht werden.

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Mit der morgenden Post will ich mit Gottes Hülfe Ihnen wieder etwas zu

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lesen schicken. Beten Sie für mich, liebster Vater, daß es mir wohl gehe; ich

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kann bisher noch immer dem Himmel danken für das Gute, das er mir thut.

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Wenn er meine Eltern gesund v. mit mir zufrieden erhällt; so weiß ich nichts,

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was ich mir mehr wünschen kann, als meine Arbeit hier zu seegnen. Er wird

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mir auch die Früchte derselben sehen v genüßen laßen, da ich mir bewust bin,

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daß ich das meiste aus gutem Triebe thue, v. weder aus Eigennutz noch einem

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lasterhaften Hochmuth arbeite. Leben Sie gesund v. vergnügt, halten Sie mich

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beständig in Ihrem väterlichen v. treuen Andenken. Ich will dafür zeitlebens

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seyn Ihr dankbarster v. gehorsamster Sohn.
Johann George Hamann.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (9).

Bisherige Drucke

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, I 37 f.

ZH I 30–32, Nr. 11.