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Königsberg den
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Octobr.
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Herzlich geliebtester Freund,

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Michaelistage
29. September
Sonnabends am Michaelistage bin von Stettin mit einem Schiff Namens

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Hofnung glücklich eingelaufen und noch denselben Abend mit
extrap
ost in

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meines Vaters Hause angekommen. Meine Sachen sind noch nicht hier, und

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Moses Mendelsohn
Moses Mendelssohn
ich bin also noch nicht ganz meiner mächtig. Mein alter guter Freund, Moses

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Mendelsohn hat mir die Reisekosten vorgeschoßen, daß ich meine Reise

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beschleunigen konnte und ich werde ihm erst mit der andern Post meine Ankunft

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melden und die Schuld übermachen können. Gestern Nachmittag hatte unser

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Vetter Nuppenau
Joachim Anton Nuppenau
Vetter
Nuppenau
das Unglück vom Wallnußbaum zu fallen, ist aber Gottlob

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der Gefahr entgangen Hals oder Bein zu zerbrechen. Zu gutem Glück und

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recht nach Wunsch kam der HE
Doctor
zu uns gefahren und verordnete einige

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Arzeneyen, daß er sich heute schon ziemlich erholt hat. Der HE Bruder hat

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mir die Versicherung wiederholt, daß wir Sie Herzl. geliebtester Freund,

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herbekommen
Die Aussicht darauf, dass
Johann Gotthelf Lindner
eine Professur an der Königsberger Universität bekommt.
ohnfehlbar herbekommen würden, und ich habe nicht länger Anstand nehmen

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können Ihnen meine Zufriedenheit darüber zu bezeigen. Die Vorsehung

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scheint es im Sinn zu haben uns alle wieder zusammenzubringen und die

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zerstreute kleine Heerde
wieder
zu sammeln. Ich verspreche mir einige

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Vortheile von meiner Reise für meine Gesundheit des Leibes und Gemüths und

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wünsche daß die vaterlandsche Luft Ihre Muse gleichfalls neu salben und

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verjüngen möge. Ein heftiges Heimweh hat mich allenthalben begleitet;
in

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Strasburg aber und Basel vorzüglich gefallen. In Colmar habe einen

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HE Hofrath Pfeffel
Gottlieb Konrad Pfeffel
liebenswürdigen Freund an HE Hofrath
Pfeffel
erbeutet. In Braunschweig bin auf

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die liebreichste Art von HE Bruder bewirthet worden, und den HE Prof.

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Zachariä habe daselbst kennen, Ebert aber schätzen gelernt, als einen sehr

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HErrn Geh. Raths von Mosers
Friedrich Carl von Moser
gefälligen treuen und ehrwürdigen Mann. Des HErrn Geh. Raths von Mosers

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Frau Gemalin und ihre Schwester
Ernestine v. Moser (gest. 1770), Mosers erste Frau (seit 1749); Schwester nicht ermittelt
älterliche und taube Frau Gemalin und ihre Schwester habe gesehen, weil ich

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von Caßel die
höf
freundlichste Einladung erhielt in seinem Hause

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anzusprechen, woselbst seinen Geschmack an Gemälden bewundert. Er ist aber vier

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HE P. Tischbeins
Johann Heinrich Tischbein, d. Ä. (1722–1789), Kabinettmaler des Landgrafen v. Hessen-Kassel
Tage vor mir in Gesellschaft des HE
P. Tischbeins
nach Holland gegangen

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Mann in Frankf.
Friedrich Carl von Moser
aus eben dem Hause, wo ich
logi
rt habe. Weil mir mein Mann in Frankf.

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fehlte, so wurde mir der Ort so vereckelt, als wenn lauter Juden und

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Holländer darinn übrig wären. In Leipzig habe Gellert und unsern Hintz verfehlt,

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Diac. Reinbeck
Otto Sigmund Reinbeck (1727–1805), Archidiakon in Berlin
Pr. Ramler
Karl Wilhelm Ramler
in Berlin nur vier kurze Tage geblieben, den
Diac.
Reinbeck, den Pr. Ramler

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HE Nicolai
Friedrich Nicolai
und HE Nicolai besucht, den letztern aber entweder beleidigt wieder Willen

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oder gleiches mit gleichem vergolten. Dieser Verleger ist aber ein Mann von

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vielen
Fähigkeiten, von geschwinden Einfällen, und Moses giebt seiner

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Ehrlichkeit und den Gesinnungen seines Herzens ein sehr gutes Zeugnis. Von

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Stückgießerin
stellt Geschützrohre her
Berlin bin auf der Post mit einer Stückgießerin aus Riga in Gesellschaft

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Pyritz
heute Pyrzyce
gewesen, faßte aber den plötzlichen Entschluß in Pyritz abzugehen, mußte mit

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vielem Verdruß Extrapost nehmen um Stettin zu erreichen, wo ich noch

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Schwinemünde
heute Świnoujście
denselben Tag mich
embarqui
rte, aber acht Tage bis Schwinemünde zubringen

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muste, biß wir den Donnerstags frühe in See giengen und in 48 Stunden

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fertig wurden, worunter die erste Nacht sehr lang, stürmicht und ängstlich war.

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Meine gantze Reise hat 16 Wochen gewährt und wie ich am ersten

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Pfingstfeyertage in See gegangen, so bin ich am Michaelisfeste in Hafen wieder

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eingelaufen.

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Melden Sie mir jetzt liebster Freund, wie Sie diese Zeit über gelebt und

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beschleunigen Sie meine Ungeduld nach Ihren Umarmungen. Wird die

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Collaboratorstelle
vmtl. als Lehrer an der Domschule in Riga
Collaborator
stelle wieder eingehen oder soll sie von neuen besetzt werden?

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Von Büchern habe wenig mitgebracht, 3 noch in Berl. gelaßen – Ein

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sehr fehlerhafter Nachdruck von
Marmontels Poetique
ist hier, Ein
Dante

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gleichfalls, an dem aber 2 Blätter fehlen. Nach einem Ariost habe umsonst

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gesucht.

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An dem Zeitungswerk werde keinen Antheil mehr nehmen. Gellius und

S. 270
Patzke
der Herausgeber von
Der Greis
Patzke sind jetzt das würdige Paar. – Ohne Geschäfte ohne Lust zu studieren

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möchte ich vielleicht häusliche Dinge vornehmen, und es zu meiner Arbeit

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machen meinen armen unglückl. Bruder wiederherzustellen. Wie ihm geholfen

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werden kann, weiß Gott am besten und Er wird es mich lehren. Vielleicht

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leistet mir der HE Bruder hülfreiche Hand in Ansehung seines Körpers.

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Ich wollte ihn gern bey sr kleinen Brodtstelle erhalten; ich zweifele aber an

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der Möglichkeit.

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Artzt hilf dir selber!
Lk 4,23
Artzt hilf dir selber! werden Sie sagen, liebster Freund. Vielleicht wird mir

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auch durch meinen Patienten geholfen; unterdeßen wenn ich auch keinen

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großen Dank verdiene, doch wenigstens einen Gotteslohn; und es ist jetzt die

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höchste Zeit – Leben Sie wohl, liebster Freund, schreiben Sie mir bald und

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hören Sie nicht auf zu lieben Ihren alten treuergebenen Freund und Diener


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Hamann.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (111).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 299 f.

ZH II 268–270, Nr. 273.