279
S. 278
Königsberg den
12
n
Decbr
64.

2
Herzlich geliebtester Freund,

3
Ohngeachtet ich nur mit voriger Post geschrieben, wiederhole es auch

4
5ten h.
nicht ermittelt
gleichwol mit gegenwärtiger, womit zugleich Ihr letztes vom 5
ten
h.
beantworte.

5
Ich schreibe so eilfertig, weil ich in einiger Zeit nicht Lust haben werde die

6
Feder wieder anzusetzen und bereite Sie auf mein monathliches
silentium
zu,

7
damit Sie es nicht übel auslegen. Eine Entschuldigung meines letzten
Exordii

8
halt ich gleichfalls für nöthig, ungeachtet Sie den Ton deßelben eher der

9
Wärme und Eyfersucht meiner Freundschaft als eigennützigen Absichten

10
zuschreiben werden. Ich verdenke Ihnen gegenwärtig noch mehr, daß Sie sich

11
um
die Arbeiten des
Professorat
s erkundigen laßen
ohne noch die

12
Vocation
erhalten zu haben, und daß Sie nicht lieber sich geradezu bey Ihrem

13
Departement
gemeldet haben oder wenigstens die Gelegenheit versäumt

14
deshalb an den Canzl. der Academie
Kow.
selbst zu schreiben, oder vielleicht

15
Unterhändler
Johann Friedrich Lauson
einen
gleichgiltigen Unterhändler
dazu gebraucht – Man muß den

16
Verdacht der Unverschämtheit nicht achten, wenn man dadurch eine Gelegenheit

17
gewinnen kann
nützlichere Wahrheiten
zu
sagen als das
privat
vorurtheil

18
unserer Bescheidenheit wirken kann. Weil der Ruf des
Senats
so träge und

19
unwillkürlich ist; wär es Ihre Schuldigkeit eine gleiche Rolle zu spielen; und

20
dadurch würde Ihr Ansehen in dem
Collegio
worinn Sie künftig mitsitzen

21
sollen und die Erreichung Ihrer Absicht, gewonnen haben. Niemand kann

22
2 Herren dienen
Mt 6,24
2 Herren dienen, und 2 Aemter an 2 verschiednen Oertern abwarten und die

23
Leichtigkeit zu arbeiten ist ein
Tal
ent,
das mein Nächster so wenig misbrauchen

24
muß als ich es selbst kann – wenn ich den Grad der Vollkommenheit nachjagen

25
vor Kunstrichter und Lesern
vgl.
Hamann,
Schriftsteller und Kunstrichter
will, mit dem ich vor Gott und Menschen, vor Kunstrichter und Lesern bestehen

26
muß. Meine Herren! Sie haben die 2 Jahre Rath geschaft und weder mit

27
meiner Wahl noch p geeilt, laßen Sie mir auch Zeit – Ich bin hier nicht nur

28
Rector
sondern hab auch die Bürde des
Inspectorat
s auf mich gehabt, bin

29
eben jetzt im Begrif einen neuen Arbeiter in meinen Weinberg einzuführen.

30
Die Dankbarkeit für das Gute, das ich hier genoßen erlaubt mir nicht alles

31
gleich im Stich zu laßen und eine Stelle, zu deren würdigen Besetzung sich

32
man so viel Zeit genommen, mit ungewaschnen Händen zu verwechseln. Ich

33
hätte mich so kalt als mögl. gestellt, und mich auf meine Abhängigkeit von mr.

34
gegenwärtigen Obrigkeit beruffen, zu der ich das gute Vertrauen hätte daß sie

35
es mir mögl. machen würde mit den Ostern imstande zu seyn das volle halbe

36
Jahr anzufangen. Wenn Ihnen wirkl. an der Eilfertigkeit gelegen wäre, so

S. 279
würde man Ihnen nicht Hinderniße im Weg legen an der Einrichtung Ihrer

2
dortigen A
rbeiten
ngelegenheiten ununterbrochen zu arbeiten. Sie hätten in

3
allem eine künstl. Vertheidigung Ihrer Liebe zum Vaterlande und zu ihrer

4
Akademie einflechten können und die Gnade des Königs v. sr Amtleute so

5
erhalten können, daß der
Senat
keine Lust gehabt hatte ein lächerl.
Protocoll

6
HE Secretair
Daniel Heinrich Christ, Universitätssekretär in Königsberg
an unsern Lauson durch Ihren HE
Secretair
insinui
ren zu laßen. Der Rath

7
Syrachs
Sir 6,13
Syrachs ist sehr gut: hüte dich gleichwol auch vor Freunden
VI.
13. Aber die

8
Matth. X. 17.
Mt 10,17
: „Hütet euch vor den Menschen“.
Warnung des Evangelii geht noch höher Matth.
X.
17.
προσεχετε δε απο των

9
ανθρωπων
– Vergeben Sie mir liebster Freund meine Schwatzhaftigkeit,

10
die mich in Gedanken in Ihre Gesellschaft versetzt hat.

11
Rogallschen Hauses
Haus von Barbara Regina Rogall
Wegen des Rogallschen Hauses werde aufmerksam seyn. Der künftige

12
Besitzer ist mit der
Wittwe
in
Proceß
, der kaum
vor Ostern geendigt
werden

13
Collevius
Andreas Cholevius, Bürger im Kneiphof, vgl.
HKB 276 ( II 274/19 )
dürfte. Er heist
Collevius
und hatte eine liebenswürdige Frau die ich neulich

14
auf einer Hochzeit habe kennengelernt. Dem Ansehen nach sind es gefällige

15
HE. Nuppenau
Joachim Anton Nuppenau
ehrliche Leute, die das Vergnügen lieben und mit HE.
Nuppenau
eine zieml.

16
warme Freundschaft halten, durch die ich Gelegenheit haben würde mich zu

17
erkundigen, ob Sie Zimmer vermiethen können und wollen, und das übrige

18
gleichfalls zu Ihrem
Vortheil
und
Wohlgefallen
vielleicht einrichten und

19
ermitteln könnte.

20
In Ansehung Ihrer Bibliothek bin mit Ihrer Erklärung sehr zufrieden und

21
falls es Ihnen nicht Beschwerde macht, so versorgen Sie mich
bey Zeiten

22
mit einem
Catalog.
Wie? wenn Sie ihn hier drucken ließen, würden Sie dabey

23
nicht gewinnen. Vom
Pitaval
habe 2 Theile und meines Wißens sind nicht

24
mehr als 8 ins deutsche übersetzt worden. Hätten Sie 3 Bände; so wär mein

25
Buch
completi
rt, 4 hab ich gehabt. Ich kann viel entbehren, mag aber alles

26
erhalten und ohne Noth nicht gern verlieren. Wegen der übrigen Kleinigkeiten

27
machen Sie sich keine Mühe. Meine eigene Unordnung ist an den meisten

28
Schuld und ich habe dafür reichen Ersatz bekommen auch noch zu hoffen.

29
HE Schwager
George Steinkopf
Ihr HE Schwager besuchte uns neul. und unterhielt mich mit unausstehl.

30
Nachrichten von seiner Vielvermögenheit, die ich lieber für baar Geld annahm

31
als daß ich es der Mühe werth hielt darauf mit Gründen oder Complimenten

32
zu antworten. Mein gutes Vertrauen, das ich zu ihm gefaßt hatte, ist jetzt

33
Sohns
nicht ermittelt
ziemlich niedergeschlagen. Vor kurzer Zeit war er wegen ss Sohns mit dem

34
Prorector
Johann Christoph Hampus, Prorektor der Löbenichtschen Schule
Prorector
im Löbnicht, den ich kenne
und selbst darüber gesprochen
, in

35
Colleg. Frid.
Collegium Fridericianum, Gymnasium in Königsberg
Unterhandlungen. Nach dem Brand hat er sn Sohn ins
Colleg. Frid.
führen

36
wollen, das sich von selbst anerboten haben soll ihn aufzunehmen aber darauf

37
abgewiesen worden, weil es mit Flüchtlingen besetzt gewesen. Diesen Umstand

S. 280
erzählte er selbst und nahm daher Anlaß ein wenig das
Colleg. Fr.
zu

2
verläumden. Bey dieser Gelegenheit strich er die Gaben ss Sohns heraus, der

3
Amanuensis
Handlanger, im Sinne von Schreibgehilfe oder Sekretär
ein
Amanuensis
aller sr. Predigten wäre und schon
Specimina
sr.

4
Beredsamkeit selbst abgelegt hätte und nächstens bey er. Hochzeit ablegen würde auch

5
selbst schon Predigten und Canzelreden
elabo
rirte. Des HE
Pror. Examen

6
in der
Latinität
ist unterdeßen eben nicht zu des Vaters noch Sohns Beyfall

7
abgelaufen.

8
Beylage komt von
Mama,
die ich gestern unvermuthet selbst besucht habe

9
Schulcollegen
Gottlob Immanuel Lindner
weil ich ausgehen und dem Schul
colleg
en ein ander Qvartier bestellen mußte,

10
Prorector Hampus
Johann Christoph Hampus, Prorektor der Löbenichtschen Schule
das er noch gestern Abend beym
Prorector Hampus
bezogen. Sie können

11
leicht erachten, daß dies durch einen kleinen Schwung geschehen, zu dem ich

12
leider! abermal den Arm le
ihen
hnen müßen. Sein Tisch bey uns hat jetzt

13
fl.
Gulden, Goldmünze, hier aber vmtl. 1 polnischer Gulden, eine Silbermünze, entsprach 30 Groschen oder weniger.
gleichfalls aufgehört. – Zu sr. Schadloshaltung sind ihm jetzt 80
fl.

14
Thrl.
Taler, meist ist der 24 Silbergroschen entsprechende Reichstaler, eine im ganzen dt-sprachigen Raum übliche Silbermünze, gemeint (Groschen: Silbermünze [ca. 24. Teil eines Talers] oder Kupfermünze [ca. 90. Teil eines Talers]; in Königsberg war der Kupfergroschen üblich; für 8 Groschen gab es ca. zwei Pfund Schweinefleisch).
ausgezahlt worden, und gleich bey Anfange 6 Thrl.

15
Gott bewahr unser Haus für Schaden; sonst hätten wir für Ihre
Coffres

16
Platz gnug, und an Redlichkeit und Wachsamkeit für ein
Depot
sollte es uns

17
nicht fehlen. – HE Lauson hat mir gesagt einen Brief mit er.
Assignation
dem

18
HE Bruder eingehändigt zu haben, letztern habe aber noch nicht selbst

19
gesprochen. Was der meinige durch se Nachläßigkeit Ihnen noch schuldig ist, soll

20
Ihnen werden, und wenn es hier wozu gebraucht werden kann, so melden Sie

21
mir, wie viel es ausmacht um meinem Vater Nachricht davon zu geben, der

22
mit dem seinigen schäffert und für alles sorgt.

23
Leben Sie wohl, liebster Freund, biß Sie weiter von mir hören werden. Ich

24
umarme Sie und ersterbe Ihr treuergebener Freund

25
Hamann.


26
Adresse mit rotem Lacksiegelrest (zwischen zwei Palmenzweigen zwei in

27
entgegengesetzter Richtung über einander schwimmende Fische über einem Netz, über den

28
Fischen zwei Sterne, darüber
F. I. S.
):

29
à Monsieur / Monsieur Lindner / Maitre de la Philosophie / et Regent du

30
College Cathedral / de et / à
Riga.
/ fr
Mummel.



S. 501
Handschriftliche Anmerkung von Johann Gotthelf Lindner am Rand zu HKB 279 (II 280/29):

20
Caviar
4 Tonnchen.

21
Original.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (115).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 307.

ZH II 278–280, Nr. 279.

Zusätze fremder Hand

501/20
–21
Johann Gotthelf Lindner

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
278/17
zu
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
zu
278/23
Tal
ent,
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
Talent,
280/8
Mama,
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
Mama,
501/19
–21
Handschriftliche […] Tonnchen. Original.]
In ZH im Apparat.