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Sie haben Ihre Ungedult, GeEhrtester Vater, so öfters merken laßen die

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Früchte Ihrer Erziehung, für die ich niemals erkenntlich genung werde seyn

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können, an mir zu erleben; daß ich selbst derjenigen Lebens Art, die Sie mir

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vorgeworfen haben, anfange überdrüßig zu werden. Ich habe mich daher

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längst nach einem Wege umgesehen, der mich weiter führte, als wie ich bisher

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gekommen bin. Es fehlt an nichts als an Ihrer Erlaubnis, daß ich mich jetzt

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entschlüße. Ich halte es daher für meine Pflicht diese Erlaubnis schriftlich von

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Ihnen zu erbitten, da ich eine Gelegenheit finde, die mit meinen Absichten und

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Ihren Wünschen ziemlich übereinkomt. Erlauben Sie mir daher, Liebwerthester

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Vater, daß ich mich mit derjenigen Offenherzigkeit erklären darf, zu der ich als

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Ihr Sohn mich am meisten verbunden zu seyn halte.

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Sie kennen die Neigung, die ich Ihnen mehr als einmal entdeckt habe; und

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ich versichere Sie, daß ich niemals mit mir zufrieden seyn könnte, in welchen

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Stand ich auch gesetzt würde, wenn ich auf der Welt seyn müste ohne von

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derselben mehr als mein Vaterland zu kennen. Ich habe diesem Triebe zu reisen

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gemäs mein Studieren eingerichtet, v mich daher nicht so wohl auf eine

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besondere Wißenschaft, die mir zum Handwerk dienen könnte, sondern vielmehr

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auf einen guten Geschmack in der Gelehrsamkeit überhaupt gelegt. So sehr

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wir Ursache haben Gott für das Gute zu danken, das er uns durch Sie hat

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zuflüßen laßen, so reicht doch weder ihr Vermögen
da
zu, daß ich meinen

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Vorsatz auf Ihre Unkosten ausführen könnte, v ich halte mein Alter selbst noch

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nicht reif genung dazu. Ich kann mich gleichfalls nicht schmeicheln in

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Königsberg eine vortheilhafte Gelegenheit zu meinem Endzweck zu finden, weil dem

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hiesigen Adel selbst diese Freyheit ziemlich beschnitten ist; eben so wenig kann

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ich mir versprechen, so lange ich hier v. in meiner lieben Eltern Haus bleibe,

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geschickt genung zum Umgange der Welt zu werden. Sie werden daher von

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selbst einsehen, daß mir eine kleine Ausflucht am besten dienen würde, mich

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selbst führen zu lernen, indem ich mich andere zu führen brauchen laße. So

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schlecht das Vertrauen ist, das Sie mich auf meinen Verstand und mein Herz

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zu setzen gelehrt haben; so darf ich doch nicht verzweifeln, daß die Freyheit

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mich meiner Gemüthskräfte zu gebrauchen dieselbe verbeßern möchte. Diese

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Freyheit zu denken v. zu handeln muß uns werth seyn, denn sie ist ein

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Geschenk des Höchsten v. ein Vorrecht unseres Geschlechts, und der Grund

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wahrer Tugenden und Verdienste. Gott selbst hat uns den Gebrauch derselben

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zugestanden, v ich schmeichele mir, daß Sie dieselbe bey meiner Erziehung niemals

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aus den Augen gelaßen haben; die Eingriefe, die ein Menschliches Ansehen

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in unsere Freyheit thut, bringen uns entweder zu einer Unempfindlichkeit,

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die niederträchtig oder verzweifelnd ist, oder zur Heucheley. Die Sittenlehrer

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bestätigen diese Wahrheit mit dem Beyspiel ganzer Völker.

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Der Herr Pastor Blank erkundigte sich
bey mir
, als er uns am Sonntage

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Conditiones
Stellungen als Hofmeister
besuchte, nach Bekannten von mir, die zwo
Conditiones
in Liefland
besetz

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annehmen könnten, die ihm zu besorgen aufgetragen wären. Die Wahrheit zu

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sagen, ich dachte damals gar nicht an mich. Mein Bruder hat mich zuerst bey

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dem Abschiede dieses guten Freundes auf den Gedanken gebracht eine

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anzunehmen. Ich schlug mich daher den andern Tag selbst vor, v er nahm meine

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Anerbietung mit Vergnügen an. Er setzte hinzu, daß er mit dem Herrn Belger

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zwar an mich gedacht, aber sich nicht hätte unterstehen wollen diesen Antrag

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selbst an mich zu thun. Er gedachte zugleich an die Schwierigkeiten, die ich bey

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meinen Eltern finden würde fortzukommen, v. besondern an das Vorurtheil

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meines lieben Vaters, das ihm bey seiner Abreise aus Königsberg am meisten

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im Wege gestanden
hätte
, aber an seinem dortigen Glück nicht gehindert

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hätte. Er hat es in meine Wahl gestellt, ob ich die
Condition
für 200

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Albertsthrl.
1616 in den Niederlanden eingeführt, im 18. Jhd. zeitweise auch in Preußen und Dänemark geprägt.
Albertsthrl. oder für 80 mir vorbehalten wolte. Die vortheilhafte Beschreibung, die

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er mir von dem Herren der ersteren machte hat die Schwierigkeit einer solchen

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Anführung, die philosophisch seyn soll v. zu einem Hirngespinste ausschlagen

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kleinsten
wahrscheinlich bei der
Barbara Helene v. Budberg
auf Gut Kegeln, heute Ķieģeļmuiža (Bezirk Kocēnu), Lettland [57° 28’ N, 25° 13’ O]
könnte, bey mir nicht überwogen. Ich habe mich daher lieber zu der kleinsten

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entschlüßen wollen. Meine Absicht ist bloß eine Probe meiner eigenen

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Aufführung zu machen; um eine Beförderung ist mir weder in Rußland noch in

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Liefland zu thun. Es wird mir wie ich glaube, dort an Zeit nicht fehlen in

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Wißenschaften dasjenige nachzuhohlen, was ich noch nicht weiß, oder bey

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meiner jetzigen LebensArt wieder vergeßen habe; v. nächstdem auf eine

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Gelegenheit zu lauren, die mich im stand setzt mit Beqvemlichkeit v. Nutzen die

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Welt zu sehen. Ein junger
D. Juris
aus Leipzig hat eine
Condition
unter eben

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dieser Bedingung dort, von der er 250 Albertsthrl. jährlich zieht; seine

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Wißenschaft v Aufführung machen ihn allenthalben beliebt.

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Ich glaube, daß ich Ihnen alle diese Vorstellungen nicht umsonst, GeEhrtester

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Vater, gemacht haben werde. Eine Veränderung des Orts v. der Lebens Art ist

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mir bey meinen jetzigen Jahren v nach meinen Umständen unentbehrlich. Nichts

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wird mich bewegen mich hier in etwas einzulaßen, das mich an Königsberg

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binden solte. Ich werde hier zu nichts weder Geschicklichkeit noch Lust jemals

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bekommen. Wenn gewiße Neigungen gar zu tief in uns stecken, so dienen sie öfters

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der Vorsehung zu Mitteln, uns glücklich, wo nicht doch klüger zu machen. Ich

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weiß, daß Ihnen an dem einen bey mir so viel gelegen ist als an dem andern.

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Ihre Zweifel, die Sie gegen diese Reise hegen werden, sind, wie ich gewiß

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versichert bin, in Ihrer Liebe zu mir gegründet. Für einige derselben dank ich

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Ihnen, v. einige erkenne ich für eben so wichtig wie Sie. Ich gestehe es, daß

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mir die Ausübung vieler guten Lehren, die Sie mir gegeben haben, schwer

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werden wird, weil ich sie lange aufgeschoben habe. Ich gebe Ihnen viele

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Schwierigkeiten zu, die sich mir unter der Hand entdecken werden, ohne daß ich

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an sie gedacht habe. Alles dieses muß ich mir auch bey der glücklichsten

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Veränderung zum Voraus versprechen; es dürfte mir aber nicht so beschwerlich

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werden, als wenn von Ihrer Seite weniger v von meiner mehr Zweifel wären;

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weil unsere eigene Wahl uns muthiger in unseren Unternehmungen macht.

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Ehe mich daher die Noth treiben solte Königsberg zu verlaßen v. vielleicht auf

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ein Gerathewohl, das mislicher als diese Entschlüßung wäre; so glaube ich

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doch, daß Sie diesen Weg vorziehen werde
n
. Wenn unsere Einbildung nicht

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mit dem Ruff Gottes zu spielen gewohnt
wäre;
so würde ich Ihnen eine

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gewiße Uebereinstimmung zu Gemüth führen, die Gott bey dem Schicksal der

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Menschen zu beobachten pflegt. Der Herr Pastor Blank ist ein Mann, den ihre

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Neigung
Gutes thun
, worinn ich Ihnen ähnlich zu werden wünsche, in

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unserm Hause zu unsern Freunde gemacht hat. Er ist unter bösen Ahndungen von

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Ihnen aus Königsberg gegangen v komt jetzt mit beßern Erfüllungen zurück.

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Es scheint, als wenn er durch mich Ihnen Ihre Freundschaft zu vergelten

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hieher gekommen wäre. Ihre Einwilligung auszuwürken hat er mir überlaßen,

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v diese Behutsamkeit konnte ich ihm nicht verdenken. Mir selbst hat er auf sein

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Gewißen gegen meine Entschlüßung nichts einzuwenden gehabt, v. an dem

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Dame
wahrscheinlich
Barbara Helene v. Budberg
Charakter der
Dame
weiß er nichts als ihren Geitz auszusetzen, der durch die

3
Aufführung des vorigen Hofmeisters verwöhnt wäre.

4
Wenn Sie die Vortheile dazu nehmen ihn zum Reise Gefährten unterweges,

5
v. dort zur Gesellschaft, so offt ich es mir gefallen laßen will, zu haben, weil

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viertel Meile
Johann Gottlieb Blank
war Pfarrer in Papendorf
er nur eine viertel Meile davon entfernt ist, wo ich mich aufhalten werde;

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des Orts
Gut Kegeln, heute Ķieģeļmuiža (Bezirk Kocēnu), Lettland [57° 28’ N, 25° 13’ O]
wenn Sie die Nähe des Orts von Riga, eine
m
r
Ort
Stadt, gegen die

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mein Vorurtheil nicht so stark als ihres ist, weil ich jederzeit gute Freunde aus

9
derselben bekommen habe; wenn Sie bedenken, daß Berlin aus ungleich

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stärkern Gründen Ihnen wenigstens noch einmal so gefährlich einmal

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vorkommen wird, v daß die ganze Welt im Argen liegt, wenn Sie bedenken, daß

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Ihnen Ihr Sohn durch eine gute Aufführung in der Fremde zehnmal lieber

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seyn wird als hier bey dieser LebensArt, in der ich weder in Sitten noch

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Einsichten so wachsen kann, als ich es selbst von mir wünsche; so werden Sie

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wenig Herzhaftigkeit brauchen Ja zu sagen, v. meine Mutter wird sich eben

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so gut zu finden wißen.

17
Wenn von des Herrn Pastors Seiten nichts vorfällt, das diesen Anschlag

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zurücke treibt; so werden Sie mir erlauben, daß ich ihm Ihre Entschlüßung

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nächstens entdecken kann. Er hat mich darum gebeten, damit er wegen der

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Reisekosten, die in 15 thrl. bestehen sollen, schreiben kann. Wolten Sie auf die

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Ausstattung Ihres Sohns noch etwas wenden; so wird solche in einigen

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Büchern, einigen historischen
Compendiis
v. juristischen Handbüchern, einer

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guten Laute wenn es möglich ist, v. einem guten Reiserock, wenn Sie es für

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nöthig halten, bestehen. Ich werde mir den ersten den besten Weg gefallen

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laßen müßen Königsberg v. meinem Verdruß, der mich gegen alles Gute

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zuletzt unempfindlich machen wird, zu entfliehen; wenn Ihre Gründe so

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erheblich seyn solten mir eine abschlägige Antwort zu geben. Werden Sie Ihre Güte

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biß auf das letzte Werk meiner Erziehung erstrecken; so werde ich nichts von

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Ihrer väterlichen Liebe zwar mehr fordern, aber eine ewige Dankbarkeit gegen

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dieselbe aufbehalten, die mir Ihr Andenken Zeit Lebens werth machen wird.

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Diese Zufriedenheit wird sich in Glück v. Unglück biß auf die Vorsicht selbst

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v. Ihre Wege erstrecken. Solte selbige härter gegen mich werden, so will ich

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mich trösten, daß sie sonst gütiger gegen mich gewesen ist. Ihr Gebet wird mir

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bey Gott übrigens gute Dienste thun, wenn ich nicht verdienen solte von ihm

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erhört zu werden. Ich will weder Sie noch mich wehmüthig machen. Erlauben

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Sie daher mich noch
zu nennen
mit kindlicher Hochachtung zu nennen, Dero

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ergebensten Sohn.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (1).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, I 245–252.

ZH I 9–12, Nr. 4.