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141/8
Grünhof. den
11 Februar. 756.

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Herzlich geliebtester Freund,

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Sie können leicht erachten, daß ich Ihren ersten Brief von den 2 letzteren

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nicht vor Abfertigung des meinigen erhalten. Sonst würden Sie
ihren

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Bernis schon bekommen haben v ich würde auch keine Entschuldigung in

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Ansehung des mir aufgetragenen machen dürfen. Es sind heute eben 8 Tage,

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daß ich erst ihr Schreiben nebst der ChocoladeTafel empfieng; und ich bin

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Mietau
heute Jelgava, Lettland [56° 39′ N, 23° 43′ O]
vorigen Sonnabend in Mietau gewesen um Sie vielleicht daselbst zu

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umarmen. Unterwegens benahm mir schon mein mir
t
entgegenkommender

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Greis, der aus Riga zurückkehrte die Hofnung Sie selbst anzutreffen. Ihr

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Bernis war in der Tasche er hat die Reise unterdeßen nicht umsonst gethan v

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ist mein treuer Gesellschaffter gewesen; weil ich in einem beqvemen

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Schlafwagen fuhr. Ungeachtet jetzt das ganze Amt fast aufgeboten worden um nach

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Riga zu gehen; so sind sie doch alle mit Korn v Getrayde beladen. Nicht ein

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einziges Achtel Butter darunter. Mit der letzteren Fuhr ist desto mehr gewesen.

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Wie leyd thut es mir Ihnen nicht zuvorgekommen zu seyn. Mein treuer

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Commissair macht mir unterdeßen zu einer baldigen andern Fuhr Hofnung, da

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meine Waare auch darunter seyn soll. Es ist kein anderer Weg sonst gewesen,

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als an die Frau Gräfinn selbst zu gehen. Der Himmel behüte mich für jede

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Gelegenheit sie in Versuchung zu führen. Wenn sie selbst welche abschickt; so

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ist es mir leicht ohne Vorbewust anderer Ihnen gefällig zu seyn. Ich danke

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Ihnen unterdeßen recht herzlich, Liebster Freund, für Ihre Aufrichtigkeit.

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Wenn ich Ihnen in diesem Fall werde ein Genüge gethan haben; so

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wiederholen Sie selbige. Mit gleichen Gesinnungen bin Ihnen für den zärtlichen

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Dichter verbunden. In Ansehung der Zeit werde schon entschuldigt seyn. Der

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späte Empfang deßelben, ihre wenigstens vermuthete Mitausche Reise.

34
Erfüllen Sie doch mit ehsten
s
diesen Vorsatz in Gesellschaft des HE. Berens.

S. 142
Durch ihn werden Sie auch die Arzeneyen bekommen; die so lange

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ausgeblieben. Verzeyhen Sie meinen Irrthum wegen der mir überschickten Sachen. Ich

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bin unschuldig daran. Nachdem ich 14 Tage ruhig die Ankunfft des

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Fuhrmanns nachgerechnet hatte, wurde ich ungedultig, schrieb deswegen mit jeder

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Gelegenheit, deren damals häufige abgiengen nach Mietau. HE Bruder hatte

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Heinrich Rehan, ein Fuhrmann
nichts erhalten sondern vermuthete daß Rehan des schlimmen Weges wegen

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geeilt nach Riga zu kommen. Dies kam mir wahrscheinl. vor. Ich ließ mich

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anderwerts erkundigen, wo ich diese Muthmaßung an statt einer gewißen

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Nachricht erhielt. Daher nahm ich meine Zuflucht zu Ihnen. Ungeachtet ich

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alle Posten nach der Stadt abpaste, waren meine Sachen nebst Ihren Briefen

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einige Tage durch die Unwißenheit der Bauern bey dem HE. Doct. liegen

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geblieben. Daher erhielt ich solche so spät, dafür aber alles auf einmal. In

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Mitau habe den HE. Doct. krank angetroffen; sein Leib scheint siech zu werden.

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Ich habe nicht bey ihm logirt sondern bey dem HE. Rittmeister, der mich

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ausdrückl. bitten laßen ihn nicht vorbeyzugehen. Sonnabends kam spät an v reiste

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Sonntags nach dem Mittagseßen wieder ab gesunder als ich angelangt war.

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Mein Gesicht ist flüßig v die Geschwulst an der einen Seite hatte wieder

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zugenommen. In Ansehung meiner Gesundheit habe mich zu räthselhaft

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ausgedruckt. Die Veränderungen in meiner Natur bestehen in einem gar zu großen

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Appetit v einer ungewöhnlichen Sparsamkeit der Absonderungen. Ich schreibe

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das letztere einem Waßer Getränke zu deßen ich mich
jetzt
an statt des hiesigen

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blähenden Biers bediene. Ich habe niemals in meinem Leben von

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Verstopfungen gewust v. s. befremden mich desto mehr, weil ich stark dabey eßen

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wahrscheinlich
La Satyre de Petrone
(Köln 1694), vgl.
HKB 57 ( I 139/26 )
kann. Meine Laute ist hier; aber mein verlorner Petron oder vielmehr mein

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verlaufener‥ er hat einen
weißen
gelblichen Pergamen Band v ist von

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kleiner Oktavform. Youngs Centaur hat der HE Regimentsfeldscher

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Parisius, sonst würde er beyliegen. Gedachter Freund ist recht schlecht daran, sieht

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als ein schwindsüchtiger aus v hat seine Stimme fast ganz verloren. Noch soll

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es nicht beßer mit ihm seyn. Er muß sich, da er nicht mehr kann, aus Noth

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schonen und zu Hause das Bette hüten. Mein Bruder hat den überschickten

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Sachen keinen Brief beygelegt. Sie bestanden in einigen Näschereyen, einem

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lateinischen Wörterbuch v andern Kleinigkeiten. Das neuste ist das politische

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Testament des
Mandrin,
welches HE. Berens hat v
in eine glücklichen

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Einkleidung einige starke Wahrheiten dem franzöischen
Gouvernement
sagt. Die

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Leichenrede
am Ende dieses Bandes von
Mandrin,
Testament politique
Leichenrede könnte meines Erachtens beßer seyn. Es steht bey Ihnen ob
s

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Sie selbige durchblättern wollen; ich möchte sie gern mit dieser Gelegenheit

37
wieder haben. HE. Trescho hat ein Gedicht auf Lißabon drucken laßen, das

S. 143
ihm ganz unähnl. ist. Der Anfang hat einen fast Lausonianischen Schwung,

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hart ungleich pp Doch Sie werden es selbst schon haben. Ich habe Oestens

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Wochenschrift nebst den dazu gehörigen Schriften bekommen. die er selbst

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gesammlet v herausgegeben näml. Schreiben an Doris. Dem Ditton v Oest ist

5
ein besonderer Bogen vorgesetzt der den Titel führt Streitschriften über die

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Schlüße eines Materialisten in den Bremischen Wochenblättern 754. wo er

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das Programma des Gymnasii in Bremen verdeutscht v einige sehr bescheidene

8
v artige Anmerkungen gemacht hat. „Jede Streitschrift muß das
Original
in

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der Schreibart pp nachahmen so viel als möglich.“ Die Schlüße beschreibt er

10
also: „Es sind ernste Minen voller Ironie. Schlüße denen die Vordersätze

11
fehlen; er vergleicht sie den Springern im Schach, die keine Linien schlagen

12
aber unmittelbar dem Könige oder den unbesetzten Hauptleuten Schach bieten

13
v manchmal dem Könige v. dem Elephanten zugleich.“

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Dero eigenen Critic Ihrer Ode, Liebster Freund, habe ich nichts entgegen

15
zu setzen. Man liebt sich selbst, wenn man strenge gegen sich ist. Ich werde

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gewiß selbige jetzt ganz neu zu lesen bekommen. Versäumen Sie doch nicht

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so bald es auskommt damit zu erfreuen. In der Rußischen Gelehrtenhistorie

18
bin ich ein größerer Fremdling als ihrer politischen. Peter des Großen

19
Gedanken in Ansehung der Wißenschaften, die er in einer Rede ausgedrückt hat,

20
Rußland
Journal:
Weber,
Das veränderte Rußland
; die Rede des Zaren von 1714 ebd. S. 10f.
die in
Webers verändertem Rußland
steht v ich in den Moscowitischen

21
Briefen vom Uebersetzer angeführt gefunden habe, wird ihnen bekannt seyn.

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In Hanway werden Sie einen gelehrten Rußen finden, im ersten Buch, der

23
Kantemir,
Satyren
; auf S. 57ff. findet sich „Die dritte Satyre an Theophan, Erzbischoff von Novogrod“.
viele historische
Mst.
nachgelaßen. Noch besinne
mi
r
ch
in Cantemirs

24
Satyren eine an den
Patriarchen von y
gelesen zu haben; der auch zu den

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Wiederherstellern der Wißenschaften gehört. Kuhlmanns Tod in Moscau trift

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in das erste Regierungsjahr Peter des Großen. Er kann mehr als ein

27
Märtyrer seines schwärmerischen Kopfs als der Wißenschaften v Gelehrsamkeit

28
oder Barbarey dieses Landes angesehen werden. Ich habe in
Reimann
einige

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Umstände dieses seltenen Manns gelesen die sie auch im Gelehrten
Lexico

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finden werden vermuthlich. Rollin hat meines Wißens in der Bibliothec

31
immer gefehlt, ich habe geglaubt, daß ihn Eßen hätte. Youngs
Love of Fame

32
ist jetzt auch ins Deutsche übersetzt. Hartung hat beyde Theile der
des
Maubert.
Haben Sie auch nur den ersten allein bekommen?

34
Sollte P. mir den andern Theil aus Vergeßen mitgenommen haben? Er ist

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jetzt in Königsb. Sie schreiben wohl schwerl. an ihn.

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Ich habe eine kleine Schrift:
l’art de faire des garçons ou nouveau tableau

37
de l’amour conjugal par M… D. en Medec. de l’université de Montpellier.

S. 144
Daselbst 755. 8. von Petersen genommen, werde sie aber nicht behalten. Sie

2
ist der Sprache v dem Innhalt nach schlecht. Ein Gegner des
Maupertuis.

3
Hier haben Sie die Cap. 1 von den verschiedenen Meinungen über die Zeugung.

4
2. gegen die
Semi
nisten 3.
Animali
sten 4. Ovisten. 5. Von den Secten der

5
letzteren die er in
Infinitovistes, Unovistes, Animovistes et Seminovistes

6
eintheilt. Das letztere ist sein System. Im 6. wiederlegt er die ersteren v im

7
7. Cap. trägt er ss. vor. 8. Von der Ähnligkeit 9. von der Unähnligkeit der

8
Kinder 10. Von den Misgeburthen. 11. von dem Mittel Mädchen zu erzeugen.

9
Jeder
testiculus
oder
ovarium
gehört für ein gewißes Geschlecht. Die

10
Mannsleute sollten sich denjenigen abschneiden laßen, der zur Erzeugung des andern

11
nicht nöthig wäre. Wie viel Nutzen würde man davon haben wenn man hinter

12
dies Geheimnis käme. Weil es bey den Frauenzimmern auf die Lage

13
ankommt so würden sie in das Geschlecht des Kindes sich einen großen Einfluß

14
geben können.
Hanway
bekam von Carl
II.
einen Hirsch v Rehgehäge, er

15
machte den ganzen Parc zu Wittwen um durch die Anatomie der Böcke hinter

16
das Geheimnis zu kommen. Wenn doch ein Sultan so grosmüthig wäre v

17
eins von seinen
Serails
einem Anatomikus zu ähnl. Untersuchungen

18
überlaßen möchte. Der Autor gönnt diese nützl. Bemühung dem Galanten

19
Verfaßer der
Venus physique.
Letztes 12 Cap. Von der Ursache des Vergnügens.

20
Ich werde ihm diese
brochure
wiedergeben; sie ist gehefftet. Er wird sie Ihnen

21
immer
communiciren
können. Entschuldigen Sie mich bestens bey meiner

22
lieben Freundinn, die ich aufs herzlichste umarme; Ihren HE. Bruder

23
gleichfalls. Ich bin zeitlebens der Ihrige.


24
HE. H.
, nicht ermittelt,
HKB 55 ( I 135/35 )
P. S. Habe ich nicht neulich schon von HE. H. geschrieben. Ich weiß mich

25
nicht zu erinnern.


26
Adresse mit rotem Lacksiegelrest:

27
à Monsieur / Monsieur Lindner / Maitre de la Philosophie / et des / belles

28
lettres et Recteur du College / de et / à /
Riga
. /
Nebst einer bunten /

29
Schachtel mit / Arzeney. /

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (17).

Bisherige Drucke

ZH I 141–144, Nr. 58.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
141/11
ihren
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
ihren
142/33
in eine glücklichen
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
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Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): in eine
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glücklichen
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mi
r
ch
]
ZH:
mi
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ich

Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
mi
r
ch

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): mi
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144/14
Hanway
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Harvey