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Grünhof
den letzten Februar 756.

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Geliebtester Bruder,

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Ich habe gern mit der ersten Post antworten wollen ungeachtet ich weder

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viel Zeit noch Geschick dazu habe. Die Gelegenheit wird gleich abgehen. Diese

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Brief
nicht überliefert
Woche habe erst einen Brief von Dir erhalten, der vermuthl. mit dem

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Fuhrmann hätte mitkommen sollen, er muß ihn vergeßen haben. Daher ist das

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Misverständnis wegen des Mandrins pp hergekommen. Es ist alles jetzt

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richtig. Dein Wunsch mich mündl. zu sprechen ist mir theils lächerl. vorgekommen

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theils hat er mir Unruhe gemacht. Wie genüße ich meiner Freunde anders als

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du sie genüßen kannst. Ich schreibe mir die Finger krumm an Ihnen. Du

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Gedicht
nicht überliefert
meldest mir von einem Gedicht, das du ausgeben wirst; ich freue mich schon

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darauf u verspreche mir eine gute Fortsetzung davon. Wenn Du Neigung zur

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Poesie hast, so vernachläßige solche so wenig als dein musikalisch Talent.

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Just Friedrich Wilhelm Zachariae
, welches Werk: nicht ermittelt.
Du biethst mir Zachariä an. Hundert gute Werke für eins darum. Mit 9

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Bogen Fortsetzung von meiner Arbeit bin ich fertig v wieder über meine eigne

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Werks
Ulloa,
Restablecimiento de las fabricas y comercio español
; siehe Hamanns Notizen zur Übers. im
Berliner Notizbuch
, N V S. 189ff.
Abhandlung her. Die erste besteht in dem Auszug eines Werks über Spanien.

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Ich habe mich betrübt keine Zeile Anschluß von Dir in dem Briefe meines

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lieben kranken Vaters gefunden zu haben, der ungeachtet seiner

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Unpäßlichkeit so viel v ziemlich vergnügt an mir geschrieben. Gott erhalt uns unsre

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Eltern; lieber Bruder. Wie gern wollt ich einen Monath mit dir tauschen. Mir

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ist viel an den Antworten auf meine Anfragen die ich gethan, gelegen v zwar

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an einer baldigen Antwort. HE. M. ist mit seinem jüngsten Bruder in Mitau

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gewesen vor 8 Tagen wegen des abgehenden Winters aber mit viel Gefahr

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v geschwind nach Hause reisen müßen. Der Doktor ist beßer; Einschluß soll

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mit erster Gelegenheit bestellt werden, nach Riga. Ich habe gestern neue Briefe

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von M. erhalten. Seine Reden auf dem Schulactum sind ausgekommen; er

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wird sie dir selbst schicken; wo nicht, ich. Antworte mir, wie stark die

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Uebersetzung
vll. des
Hamann,
Beylage zu Dangeuil
Uebersetzung werden wird, ob sie nach meinem Willen abgedruckt worden. Sey ein

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scharfer
Corrector,
v sieh auf Sprachfehler; ich bin nicht sicher darüber, Du

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hast doch wohl Gottscheds
Grammatic,
die preuß. Constructions
Dat.
für den

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aequinoct.
Tag- und Nachtgleiche, um den 21. Juni
Accus.
hängen mir an. Vor dem
aequinoct.
denke mit der Abhandlung

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auch einzukommen. Sie möchte ein wenig stoisch und verwegen gerathen. Hast

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Melchior Kade
war Kaufmann in Königsberg.
Du noch deine
Condition
bey HE. Kade? Darf ich dich wenn Du mir Zachariä

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oder Dein Gedicht schicken willst um die Gespräche des Insulaners bitten.

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gl.
Groschen (Silbermünze [ca. 24. Teil eines Talers] oder Kupfermünze [ca. 90. Teil eines Talers]; in Königsberg war der Kupfergroschen üblich; für 8 Groschen gab es ca. zwei Pfund Schweinefleisch)
Youngs Liebe zum Ruhm kostet nur 18 gl. Ich will dafür Dein Recensent

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seyn. Du siehst wie kindisch ich bin, wenn ich jemanden um etwas bitten soll.

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Ich wollte lieber ein Holzhacker als ein Bettler seyn, lieber Bruder,

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ungeachtet sich große v reiche Leute des letzteren sich nicht schämen. Doppelt bezahlt v

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doppelt gedruckt. Was für ein Thor, wie wenig weiß der zu leben. Sich biß

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Ferding
od. Fehrding; in Livland gebräuchliche Schwedisch-Pommersche Silber-Kurantmünze, deren Wert also über den Edelmetallgehalt definiert war; enstprach einer Viertel Mark.
zum Staub verächtlich gemacht, für einige Ferding niederträchtig und denn

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über des andern Leichtgläubigkeit gefrolockt, der vielleicht alles geben möchte

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um eure Schande nicht sehen zu dürfen um des Verdrußes, den eure

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Niederträchtigkeit ihm macht, überhoben zu seyn; und ihr frolockt noch über eure

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Klugheit v euren Gewinn. Wenn du mir eine Freude machen willst mit

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etwas; so geschehe es mit dem ersten Fuhrmann v wo mögl. planirt v gehefft.

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Stuffenjahr
jedes 7. oder 9. Lebensjahr, schicksalsträchtig entsprechend klimatischer Perioden
Vielleicht bin ich bald imstande, bald, bald, ein Stuffenjahr ist mir auf den

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Hacken. Mir ahndet eine Veränderung meines Schicksals. Die Probezeit

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währt mir unterdeßen noch nicht zu lange; wenn sie mir nur zum beßern

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und klügern Gebrauch meines übrigen Lebens dient. Dies ist der ganze Nutzen,

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den ich mir davon wünsche. Wie bald wird man des Mantels überdrüßig, bey

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Sonnenschein, der uns bey Sturm und Ungewitter Wind und Regen

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Hor.
epist.
I,17,27ff.
vortrefliche Dienste gethan. Du weist den Mantel von dem Horatz redet, nicht die

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Livree des Philosophen, sondern das Kleid des Weisen, was die Blöße des

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Johann Lorenz v. Mosheim
, welches Werk: nicht ermittelt
Menschen deckt. Ich werde mit dem Mosheim bald fertig seyn; gestern habe

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die Vorrede der
Obseruat.
des Kypke angefangen; er verspricht viel

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nützliches und Neues v ist imstande sein Wort zu halten. Urtheil und Ordnung

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verbindt
er mit einer mühsamen Belesenheit. Warum müßen solche nützliche

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Köpfe für die Wißenschafften, um Brodt schreyn. Man sollte von seiner

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Dürftigkeit so wohl als von seinen Verdiensten schweigen, wenn man von

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beyden nicht mit einer guten Art zu reden wüste, mit Anstand. Die

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Unverschämtheit entzieht ihnen anderer Mitleiden, und zeigt zugl. daß sie die Gabe

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haben sich in ihre Umstände zu schicken. Wie oft denk ich an jenen Lehrer, den

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wir gehabt haben, der beßer wuste arm und weise zu seyn.

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Ich muß schlüßen, und bitte dich nochmals um ein Schreiben mit der ersten

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Post, in dem alle meine Fragen aufgelöst sind. Willst du Italienisch lernen, so

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Molters
vll.
Toscanische Sprachlehre: nach Anleitung des ehemaligen öffentlichen Lehrers zu Siena, Girolamo Gigli [1660–1722], abgefasset, und mit den Mustern der klassischen Schriftsteller bestättiget
, übers. v. Friedrich Molter (1722–1808) (Leipzig: Dyck 1750)
bediene dich ja Molters Sprachkunst. Der beste Anführer, und ein ächter

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Sprachmeister. Lebe wohl, mein lieber Bruder, schreibe bald, viel und

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befriedige meine Ungedult. Ich umarme Dich mit den zärtlichsten Gesinnungen

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einer ewigen Freundschaft. Kannst du einige Probebogen von der

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Uebersetzung beylegen, wird es mir sehr lieb, recht sehr lieb seyn; aber befördere alles

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mit dem ersten Fuhrmann. Willst du jemand doppelt verbinden; so verbinde

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Martial
nicht ermittelt; in
Enn.
sat.
2,5 findet sich: „dum quidquid des, des celere“
ihn bald, sagt Martial. Meine Erkenntlichkeit soll so wenig aufhören als

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meine brüderl. Liebe. Ich bin und bleibe Dein treuester Freund v Bruder.

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Johann George.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (36).

Bisherige Drucke

Walther Ziesemer: Unbekannte Hamannbriefe. In: Altpreußische Forschungen 18 (1941), 284–286.

ZH I 154–156, Nr. 62.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
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